Freitag, 14. Januar 2005

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Der Freitagskommentar

Neulich in einer deutschen Kneipe. Sagt er zu ihm: "Was will die Frau eigentlich?" Überlegt einen kurzen Moment, fährt sich dann mit der Hand durch die mit ersten Silbersträhnen durchzogene Frisur. Und ruft die Kellnerin: "Noch ein Bier, bitte!". Nun. Was wollen die Frauen eigentlich? Eine gute Frage. Um diese zu beantworten, schaue ich jeden Morgen ins Internet und sehe mir zum Beispiel bei Clean Sheets an, was ich denn heute wollen könnte. Kleiner Scherz. Natürlich gehöre auch ich zu den Menschen, die wissen, was sie wollen und verfüge in der Regel über einen harmonisch abgestimmten Gefühlshaushalt. Sollte ich aus irgendeinem Grund einmal nicht wissen, was ich will und gerade keinen Tee mit jemandem zwecks Klärung meiner Gefühlswelt trinken, so kann ich mich online therapieren lassen. Das spart Zeit und Make-Up. Oder ich spiele ein Videospiel.

Und sollte das alles nicht wirken, dann kann ich immer noch auf die vielen kleinen Helferchen aus dem Internet zugreifen, die die milliardenschwere Porno-Industrie anbietet. Adultinternet.TV zum Beispiel preist uns eine Erlebniswelt an, nach deren Genuß ich persönlich mich genauso sehne wie nach Spargel mit Schokolodensoße. So prickelnd sind diese Pornowelten, dass ich mich über jeden gelungenen Versuch freue, eigenes Erotik-TV für Frauen anzubieten.

Richtig spannend wird es in der Welt des Internet, der Technik und Erotik allerdings erst, wenn man nicht mehr auf die Rolle der passiven Konsumentin beschränkt ist, sondern die Möglichkeit hat, eigene (erotische) Welten zu schaffen. Erosblog ist solch ein Projekt. Dort schlossen sich Frauen zu einer Blog-Community zusammen und spielen die Nummer "Was Ihr könnt, das können wir auch".

Es gibt auch die Möglichkeit, einen ganz persönlichen, eigenen Blog-Raum schaffen. Einen Raum, in dem ich experimentieren kann mit den (technischen) Möglichkeiten der schönen neuen Welt. Einen Raum, in dem ich Gastgeberin, Geschichtenerzählerin, vielleicht sogar virtuelle Liebhaberin und Geliebte bin. Einen Raum, in dem ich die Regeln aufstelle und Herrin bin eines von mir gestalteten Selbst. Wunderbar, diese Vorstellung. Nicht wahr? Die erste Einschränkung vorweg: Es kostet unendlich viel Mühe. Bloggen ist kein virtueller Quickie, kein One-Night-Stand. Es kostet Zeit, Überwindung und noch mehr Arbeit, die Fragmente eines Selbst zu einem immer neuen Bild zusammenzufügen. Ein Gesamtes, das jeden Tag wieder geschaffen werden will, eine Komposition aus Bild und Sprache. Viele Fragen und Unsicherheiten entstehen. Wie wird dieses Bild auf andere wirken? Was wird jemand anderes empfinden, wenn er dieses Blog liest? Zu welchem Bild wird er die Fragmente zusammenfügen? Ist meine Komposition auch seine? Wenn Erotik die Überwindung der Fremdheit des Anderen ist: Wird diese Komposition dann helfen, die Fremdheit zu überwinden? Und dann noch dieses: Gibt es überhaupt jemanden, der sich auf diese Form der Begegnung einlassen will? Die Momente des Vertrauten und des Ähnlichen müssen mühsam errungen werden. Auch im virtuellen Raum. Es ist eine neue Form der Begegnung. Und zugleich der ganz alltägliche Prozeß des Wechselspiels von vorsichtig tastendem Annähern und Rückzug, von behutsamen Versuchen und Irrtümern. Und es ist eine fortlaufende Geschichte. Erzähle ich sie, so werde ich vielleicht einen unsichtbaren Faden zu meinem virtuellen Du knüpfen können. Wenn alles gut geht, dann werden wir gemeinsam das Netz weiterspinnen, das uns verbindet. Vorausgesetzt, mein virtuelles Du ist ein Spinner. Genau wie ich. Nimmt außerdem in der realen Welt gerne auf dem Beifahrersitz Platz, bekommt nicht gleich schweißnasse Hände, weil der Tacho über 140 Km/h zeigt, hat einen guten Orientierungssinn, wahlweise GPS und liebt unendlich weite (Küsten-)straßen.

Doch nicht immer halten die Netze, die gesponnen werden im Internet. Sie können zerreißen von einer Sekunde auf die andere, das Gemeinsame sich als Trugbild erweisen, das lediglich in meinen Fantasien, in meinen Hoffnungen existierte. Das narzisstische Spiel des Verliebtseins in das eigene Spiegelbild. Das Bild, welches ich mir selber aus den Puzzleteilen wohlplazierter Informationen bildete. Habe ich mich vielleicht verfangen im Netz der Spieler? Derjenigen, die die virtuellen Spiele des einundzwanzigsten Jahrhunderts spielen? Es sind Spiele, die mit Hilfe von Technik und Macht die Facetten von Unterwerfung und Dominanz, von Zerstörung und Vernichtung, von Himmel und Hölle simulieren. Immer mehr Spieler kommen in die Welt der Blogs, denn ein Blog ist ein Raum. Wer aber hat die Macht über diesen Raum? Über andere Räume? Wer ist der Herr oder die Herrin im Haus? In meinem Blog wollte ich Herrin sein. Herrin über ein Bild, welches nur ich alleine gestaltete. So glaubte ich lange Zeit. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Es geschah etwas, das mich sehr geprägt hat. Etwas, das meine Grenzen aufweichte. Etwas, das mich dazu brachte, in einer Art Kurzschlußreaktion im Sommer 2004 den kompletten Inhalt meines Blogs Anoteron zu löschen. Ein Sog aus Verwunderung, Empörung, Entsetzen, Leidenschaft und Hilflosigkeit. Manches ist erklärbar. Im Nachhinein. Doch manches wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Die virtuelle (Blog-)Welt ist ein Raum voller Energie, voller Zerstörungskraft, aber auch voller wunderbarer Magie.

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Astrid Haarland M.A. Politologin - Soziale Kunst- und Ausstellungsmacherin - Commander/ISLA - a.haarland(at)googlemail.com - Choose safe communication ... ;-)

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