Sonntag, 17. April 2005

Schlampen. Oder: Dürfen Mädchen schaukeln?

"Am Sonntagmorgen versammelte sich die ganze Nachbarschaft immer an der gleichen Stelle am Strand. Unter riesigen Pinienbäumen wurde das Mitgebrachte aufgetischt. Mein Vater band für uns Kinder eine Schaukel an den Baum. Für europäische Ohren mag das wie selbstverständlich klingen, Mädchen auf Schaukeln, aber heute sieht man kaum noch ein Mädchen aus einer muslimischen Familie schaukeln, weder in Bursa noch in Berlin.

...

Wo der Islamunterricht an Schulen eingeführt wurde, nimmt die Zahl der Kopftuch tragenden Mädchen zu. Für den Vorsitzenden der islamischen Förderation, die diesen offiziell abgesegneten Religionsunterricht betreibt, Burhan Kesici, ist das Kopftuch - unter Berufung auf den Koran - obligatorisch. Wohlgemerkt: Hier ist von Grundschulkindern die Rede, von Mädchen zwischen sechs und zwölf Jahren (Berlin hat sechs Grundschuljahre), denen abverlangt wird, sich zu verschleiern. In muslimischen Ländern wird ein Mädchen verschleiert, wenn es als heiratsreif gilt, das heißt geschlechtsreif ist. Im Iran dürfen Mädchen ab dem neunten Lebensjahr verschleiert werden. Was bedeutet es, wenn sich in Deutschland Sechs- oder Achtjährige mit dem Kopftuch bedeckt sollen? Sehen die muslimischen Männer in ihnen Sexualobjekte?


kleinesmdchen


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Der Moderator stellt die Diskutanten auf dem Podium vor. Zuerst spricht die Leiterin einer Gesamtschule aus dem Ruhrgebiet, an deren Schule neun von zehn Kindern aus muslimischen Migrantenfamilien kommen. Mit den deutschen Kindern hätten diese nahezu keine Probleme - wohl aber untereinander. Eine immer größer werdende Zahl von Mädchen würde inzwischen mit Kopftuch in die Schule kommen und ihre nicht Kopftuch tragenden Mitschülerinnen als 'Schlampen' beschimpfen, als 'Unreine'."


Texte: Necla Kelek, Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005

Bild: Yann Arthus-Bertrand, Die Erde von oben. Für Kinder erzählt, GEOlino, Knesebeck München 2001

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pathologe - 18. Apr, 17:08

Und nun? Treffen hier nicht Grundgesetz und Menschenrecht aufeinander? Einerseits darf niemand auf Grund...seiner Religion...diskriminiert werden, andererseits ist die Würde des Menschen unantastbar, die Familie ist die Keimzelle des Staates und somit schützenswert.
Einerseits steht die freie Religionsausübung auf dem Spiel. Obgleich ich vermute, dass es im Koran keine Stelle gibt, die explizit das Tragen eines Kopftuches vorschreibt. Es ist wohl eher von "Bedecken des Körpers" die Rede, und die Auslegung hierzu wird wohl patriarchalisch streng gehandhabt.
Andererseits ist die Erziehung der Kinder Sache ihrer Eltern, und wenn die Eltern nun mal meinen, dass das Tragen eines Kopftuches zur Erziehung gehört? Respektive zur Religion?

Es mag ein Stammtischspruch sein, aber ich bin der Meinung, ich muss mich an die Gepflogenheiten des Gastlandes anpassen, da ich ja lediglich Gast bin. Halte ich mich nicht daran und provoziere, muss ich mich auch nicht über Konsequenzen beschweren.
Morgaine - 18. Apr, 19:18

In der Tat. Ein schwieriger Prozess des Abwägens von auf den ersten Blick konkurrierenden Rechten. Die Grundlage unseres Grundgesetzes sind die Menschenrechte. Im ersten Satz der Erklärung der Menschenrechte heißt es: Alle Menschen sind frei und gleich. Jede/r hat das Recht auf Unverletztheit seiner Person, die Würde des Menschen ist unantastbar.
Aus diesen Präambeln abgeleitet werden die Rechte, die auch das Recht der Weltanschauungs- und Religionsfreiheit beinhalten. Diese Freiheiten oder das Recht der Familie als Keimzelle der Nation dürfen nicht gegen den Schutz des Individuums verstossen und es gibt im innerstaatlichen Bereich ja bereits heute funktionierende Instrumente der Exekutive, die bei Zuwiderhandlung angewendet werden könn(t)en.

Ein wesentlicher Punkt scheint mir zu sein, dass die Anerkennung der Bedeutung von Freiheit und Gleichheit erkannt beziehungsweise erlernt werden muß. Eine Frage von Bildung und Sozialisation, die wesentlich ernsthafter betrachtet werden sollte. Wer in Unfreiheit aufgewachsen ist, wird kaum in der Lage sein, seinen Kindern die Grundgedanken von Freiheit zu vermitteln, weshalb in einem Staat mit freiheitlich demokratischer Grundordnung, wo eben auch Menschen leben, die nicht in der Demokratie geboren wurden, staatliche Institutionen diese Aufgabe übernehmen müssten. Das Berliner Modell des LER-Unterrichts wäre solch ein Beispiel.

Ausgestattet mit derartiger Bildung betrachten vielleicht weniger Menschen Religion(en) als eine vom Himmel gefallene Offenbarung, die es unbedingt zu befolgen gilt beziehungsweise werden bekannt gemacht mit "konkurrierenden" Modellen und lernen so, das angebliche Absolute in Frage zu stellen.

Womit wir beim nächsten Punkt wären: Dazu gehört, Religion in einen Kontext, einen historischen Zusammenhang zu stellen. In diesem Zusammenhang ist die Kopftuchfrage zu sehen.

Informationen zur Frage "Frau - Bedeckung des Körpers im Koran" findet man zum Beispiel hier (Sorry, ich hab mal wieder den HTML-Befehl vergessen):

http://www.wir-sind-kirche.de/fulda-hanau/Islam_Kopftuch_Streit_Anmerkungen.htm)

(mehr Informationen: z.B. googeln unter Spuler-Stegemann - Frauen - Koran)

Zitat:
"Das Wort, Schleier (Hidjab), kommt im Koran nicht vor. (Khoury, Islam Lexikon, S. 665 ff )

Beim Schleier gibt es fünf Typen:

Körperschleier,
Gesichtsschleier,
Halbschleier,
Gesichtsmaske
Kopftuch. (Khoury, Islam Lexikon, S. 666 ff)


- Schwarzafrikanische Muslima kennen keinen Schleier. Ähnlich ist es bei vielen Muslimen in Asien und in Bosnien (Bassam Tibbi, Der Islam und Deutschland, S.45).


Die Gründe für die Verschleierung von Frauen in der islamischen Welt sind sehr vielschichtig. Sicher ist, dass schon in vor- islamischer Zeit auf der arabischen Halbinsel von Frauen und Mädchen Schleier verwendet wurden; doch scheint es sich hier um ein Kleidungsstück vor allem der Oberschicht gehandelt zu haben. Es besteht zumindest die Vermutung, dass der Einfluss von iranischen und byzantinischen Vorbildern hier nicht ohne Bedeutung gewesen ist. Nur unter großen interpretatorischen Bemühungen sind aus dem Koran oder den Prophetentraditionen Verschleierungsgebote abzuleiten. In der Regel wird mit dem Koranvers 33,59 argumentiert: "0 Prophet, sage deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihren Überwurf (djilbab) über sich herunterziehen. Das bewirkt eher, dass sie erkannt werden und dass sie nicht belästigt werden. Und Gott ist voller Vergebung und barmherzig. ....

In den Überlieferungen und Korankommentaren ist die Bedeutung des Wortes "Djilbab" unsicher. Es kann sich um einen Mantel gehandelt haben, der auch zur Verhüllung des Gesichts verwendet werden konnte. Doch sind auch andere Interpretationen möglich. Sicher ist, dass der Vers darauf abzielte, den freien Musliminnen gegenüber den Sklavinnen ein nach außen hin deutliches Unterscheidungsmerkmal zu verschaffen. Im Laufe der Geschichte dieses Kleidungsstücks im Islam traten immer mehr Varianten in Erscheinung, von denen man wohl nicht annehmen kann, dass sie schon in der islamischen Frühzeit üblich waren."
(Khouty, Islam Lexikon, S. 666 ff)" Ende des Zitats


Die Frau wird im Islam von den derzeitig wachenden Interpeten als diejenige gesehen, die vor sich selbst, vor ihrer triebhaften Natur und vor dem Mann geschützt werden muß. Daher hat sie ihre sexuell erregenden Stellen zu bedecken. Zu diesem patriarchalen Frauenbild habe ich in den letzten Tage einige Beiträge ins Blog gesetzt und werde es auch weiterhin tun.
Daneben wird den Frauen vermittelt. dass sie mit Hilfe des demonstrativ gezeigten Kopftuchs zur Umma, der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaft des Islam gehören und so ihre Überlegenheit zeigen können. Auf der einen Seite die Umma, auf der anderen Seite die Unreinen. Was für ein Mittel für das ansonsten abgewertete Selbstbewusstsein als Frau! Denn als Frau ist man erst als Mutter eines Sohnes nicht mehr die Stiefelträgerin von Familie und Kollektiv.



Um auf Ihre Schlussbemerkung einzugehen: Ich bin der Meinung, das es begründete Regeln der Demokratie gibt, an die sich jede/r zu halten hat, der sich entschliesst, in einem Land zu leben. Diese Spielregeln jedoch müssen erlernt werden und sind nicht auf Anhieb für diejenigen erkennbar, die keine entsprechende demokratische Grundbildung mitbringen. Diese nicht vorhandene Bildung darf kein Grund sein, die Zustimmung zur Einwanderung zu verweigern. Jede/r ist willkommen, der bereit ist, sich an die Spielregeln zu halten. Nicht vorhandene Bildung kann bei entsprechendem Einwanderungswillen nachgeholt werden. Diese Bildung (Staatsbürgerkunde) allerdings sollte verpflichtend für alle sein und entsprechend überprüft werden.
pathologe - 20. Apr, 12:29

Um Ihre Ausführungen aufzugreifen

Der/Diejenigen, die sich dereinst aufgemacht haben, aus ihrem Land in unseres umzusiedeln (die Gründe seien einmal dahingestellt), haben dies bestimmt nicht "blind" getan. Sie hatten das Ziel vor Augen. Und mit diesem Ziel sollte man sich, m.E. nach, bereits vorab auseinander setzen.

Sicher, in einem totalitären Staat ist es bestimmt nicht einfach, Informationen über ein mögliches Auswanderland zu bekommen. Ich schätze, durch Propaganda wird dieses andere Land auch in einem ganz anderen, meist schlechterem Licht dargestellt werden. Aber der Wunsch, dort hin zu siedeln, steht bestimmt nicht nur der schönen, grünen Wiesen oder der gefüllten Warenhausregale wegen an erster Stelle. (Und wenn ja bezüglich des zweiten Punktes, dann sollte man sich wenigstens überlegen, wie man denn legal an dieses Warenangebot kommt). In so fern setze ich eine gewisse Selbstschulung voraus, ein Eigeninteresse. Im Verlaufe dessen, und damit schlage ich in die Richtung eines Herrn Panthol, man sich eben auch mit der Sprache und den Gebräuchen des Landes vertraut machen sollte.

Zum Thema Anpassungswillen: Wenn wir ins Ausland gehen, passen wir uns nicht auch deren Bräuchen an, in deren Länder wir reisen? Ich werde in einem islamischen Land wohl kaum mit meiner Bestellung nach einem Schweineschnitzel weiterkommen, nur weil ich es bei uns aus Tradition an Sonntagen esse. Oder der Besuch katholischer Kirchen in Italien: angemessene Kleidung erwünscht...

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