Montag, 27. Februar 2006

Vom kulturellen Relativismus zum sexuellen Partikularismus

Alles begann in den siebziger Jahren damit, dass die Allgemeinheit des Gesetzes in Frage gestellt wurde. Eine Allgemeinheit, die als betrügerisch beurteilt wurde, weil sie, verborgen unter dem Schleier der Neutralität, in Wirklichkeit nur die Interessen der Mächtigen zum Ausdruck bringe. Zwischen der marxistischen Kritik an den ideologischen Überbauten und der Verurteilung des Ethnozentrismus durch die Lévi-Strauss'sche Anthropologie zerrieben, wurde der Universalismus auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Das allgemein gültige Gesetz verlor seinen Inhalt, seine Legitimität und damit seine Autorität.

Als Erstes gerieten die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in die Schusslinie. Man warf ihr vor, sie sei nur ein Ausdruck der westlichen Kultur und der jüdisch-christlichen Werte; manche sahen in ihr einen Imperialismus, der im Namen der Achtung vor anderen Kulturen bekämpft werden müsse. Der Kulturrelativismus erlebte seinen ersten großen Auftritt auf der politischen Bühne auf Kosten der Geschlechtergleichheit. Der erste Vorstoß betraf die Familienstrukturen von immigrierten Arbeitern afrikanischer Herkunft. Das Recht auf Polygamie und auf Beschneidung der Mädchen wurde mit aller Gelehrsamkeit erörtert. Getrieben von Selbsthass und Verblendung erhoben sich Stimmen, die diese fremden Gebräuche gewissenhaft respektieren wollten. Junge Afrikanerinnen mochten inständig darum bitten, das französische Gesetz auch auf sie anzuwenden, doch die Relativisten stellten sich taub. Jahrelang wurde nicht nur darauf verzichtet, die Neuankömmlinge über das Recht der französischen Republik zu unterrichten, sondern man verschloss die Augen vor Praktiken, die diesem Gesetz absolut zuwiederliefen.
Die Vertreter des Staates und seiner Institutionen, eingeschüchtert von der Vorstellung, in den Ruch der Intoleranz zu geraten, gingen vor den Differenzen in die Knie, welchen Preis ihre Opfer auch dafür zu zahlen hatten. Feministinnen wie Benoite Groult sowie die Gerichte brauchten viel Mut und feste Überzeugungen, um den Kampf gegen die intolerable Toleranz weiterzuführen. Nach jahrelangen Proklamationen und Schuldzuweisungen gaben die Relativisten dieses verminte Gelände auf, um andere zu besetzen, ohne jedoch die geringste Reue zu zeigen.

Bei der Debatte über das islamische Kopftuch im Jahr 1989 erlebte der Universalismus seine erste große Niederlage, als die staatlichen Institutionen zum ersten Mal einen Statusunterschied zwischen Männern und Frauen einräumten. (Fußnote)
Hinter dem vermeintlich harmlosen Kopftuch, das junge islamische Mädchen in der Schule trugen, verbarg sich eine doppelte Überschreitung, die eine hinter der anderen versteckt. Tatsächlich ging es nicht nur um eine Herausforderung des traditionellen französischen Laizismus - das heißt der in der französischen Verfassung fest verankerten strikten Trennung von Kirche und Staat -, sondern um die Behauptung besonderer Pflichten, die der Frau aufgrund ihrer Natur obliegen. Wahrscheinlich haben die jungen Provokateurinnen, von ihren Eltern ermutigt oder nicht, die Bedeutung ihrer Handlung nie recht begriffen. Aber es hat sich auch niemand die Mühe gemacht, ihnen zu erklären, dass sie die Idee der Gleichheit der Geschlechter in Gefahr brachten und damit mittelbar auch die Befreiung der Frauen innerhalb ihrer eigenen Organisation. Im Gegenteil, viele ignorierten eifrig die Symbolik der Unterwerfung und sahen im Tragen des Kopftuchs nur einen freiheitlichen Akt, der Nachgiebigkeit oder gar Respekt verlange.

Das von den fundamentalistischen Strömungen aufgezwungene Tragen des Kopftuchs bedeutet, dass eine Frau ihre Haare verbergen muss, um keine männliche Begierde zu wecken. Für die Männer, die nicht zu ihrer Familie gehören, ist es das Signal, dass sie unerreichbar und unberührbar ist. Ohne das Kopftuch ist sie nicht nur aufreizend, sondern muss für diese Provokation und ihre Folgen selbst die Verantwortung tragen. Die Frau ist also von vornherein schuldig, unreine Begierden zu wecken, während der Mann entschuldigt ist, wenn er sie zeigt. Ihr Körper hat nicht denselben Wert wie der des Mannes. Er ist eine Bedrohung, die man verbergen muss, um ihn zu desexualisieren und die Gefahr zu beseitigen, die von ihm ausgeht. Das Kopftuch der jungen französischen Schülerinnen und die Burka der Afghaninnen symbolisieren dasselbe: Verbirg diesen Körper, den ich nicht sehen kann, ohne ihn mir zu nehmen. Nur der Grad des Fundamentalismus ist zwischen beiden Gesellschaften nicht derselbe.
Indem die französische Republik und die französische Demokratie das Tragen des Kopftuchs in den staatlichen Schulen zuließen, mögen sie den Beweis ihrer religiösen Toleranz erbracht haben, doch haben sie damit klipp und klar den Anspruch auf Gleichheit der Geschlechter auf dem Territorium der Nation aufgegeben. Sie haben sogar eine deutliche Botschaft im entgegengesetzten Sinne ausgesandt, die nicht unbemerkt geblieben ist: Macht mit euren Mädchen, was ihr wollt, uns geht das nichts an. Seltsamerweise hielt die damalige Regierung, vom relativierenden Dogma durchdrungen, Resignation für die richtige Antwort. Noch erstaunlicher war das Schweigen des offiziellen Feminismus, der glaubte (oder jedenfalls so tat), hier werde viel Lärm um nichts gemacht. Die Parole hieß: Je mehr Empörung, desto größer werden die Provokationen, und desto mehr werden wir der extremen Rechten in die Hände spielen. Die Kopftuchgegner wurden gebeten zu schweigen, um nicht Le Pen Argumente in die Hand zu geben.

Doch die Kopftuchmode verschwand nicht von selbst, wie man uns vorausgesagt hatte, sondern breitete sich immer weiter aus - als Zeichen der Verspottung oder Herausforderung der republikanischen Werte.
Die Folgen, die sich aus dieser Verleugnung ergaben, sind nie gezogen worden. Das Kopftuch war nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Das Kopftuch legitimierte in den Wohnvierteln mit islamischer Mehrheit eine bestimmte Vorstellung von jungen Mädchen, die von Frauen ähnlicher Herkunft angeprangert wird.
"Wir sind weder Huren noch Unterworfene", sagen sie, weil sie seit zehn Jahren zunehmend gegen diese beiden Bilder ankämpfen müssen. Wenn sie wie die übrigen Französinnen leben und die Rechte, die ihnen zustehen, in Anspruch nehmen möchten, dann droht ihnen die Verachtung und Gewalt der Männer. Unterwerfen sie sich aber dem Gesetz der Männer, werden sie in die Familie eingesperrt. Die Vorsitzende der antirassistischen Vereinigung Fédération Nationale des Maisons des potes (Nationale Vereinigung der Kumpels), die diese Parole in Umlauf gebracht hat, stellt bedauernd fest:
"Die Minderung des Status der Frau in den Wohnvierteln (in die die feministische Botschaft niemals gedrungen ist, E.B.) äußert sich in zunehmender Gewalttätigkeit gegenüber den Mädchen, in arrangierten Heiraten und sexueller Belästigung durch die jungen Männer. Weder in der Familie noch im Wohnviertel darf von Sexualität gesprochen werden. Man darf nicht rauchen. Man darf keinen kurzen Rock anziehen. Man darf sich nicht mit Jungen treffen, sonst gilt man als die Nutte oder Schlampe des ganzen Viertels. Man darf nicht an Gesprächen teilnehmen, sonst heißt es gleich: 'Geh nach Hause' oder 'Halt's Maul'. Man nimmt die Mädchen von der Schule: Der Mythos von der jungen nordafrikanischen Immigrantin an der höheren Schule hat sich in Luft aufgelöst."

Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Männern und Frauen in bestimmten Wohnvierteln ist bestürzend. "Seit Jahren", sagt die achtundzwanzigjährige Safia, "müssen meine Schwestern, meine Cousinen, meine Freundinnen diese Gewalt ertragen. Es gibt wirklich einen Rückschritt. Früher spürte man Solidarität. Wir jungen Frauen verstecken uns, schleichen an den Mauern entlang."
Und Fadela Amara, die sich als gläubige Muslima bezeichnet, hat festgestellt:
"In den maghrebinischen Familien wird die Unterdrückung mit härteren Mitteln ausgeübt. Die fundamentalistischen Strömungen haben direkten Einfluß auf die Jungen: Das äußert sich in unmittelbarer Gewalt an den Schwestern und Mädchen aus der Nachbarschaft."
Kahina Benziane, angehende Wirtschaftswissenschaftlerin, deren Schwester Sohane Benziane mit siebzehn Jahren in Vitry-sur-Seine von brutalen Jugendlichen bei lebendigem Leibe verbrannt wurde, bestätigt diese Einschätzung.
"Sobald gesagt wird, die Frau ist dem Mann unterlegen, sind für Exzesse Tür und Tor geöffnet. Und dann: Ich finde diese Kopftuchdebatte lächerlich. Man muss den Islam auf dieselbe Stufe stellen wie die anderen Religionen ... Der Schleier gehört in den Schulen verboten."

Die französische Republik trat nicht nur aus den Wohnvierteln, die als 'soziale Brennpunkte' gelten, den Rückzug an. Indem sie dem kommunitaristischen Druck nachgab und das Differenzdenken übernahm, ließen sie einem unerträglichen Prozess der Unterdrückung von Frauen freien Lauf. Es ist höchste Zeit, diese Entwicklung umzukehren und auf eine Ideologie zu verzichten, die für ein solches Desaster verantwortlich ist. Es ist ebenso darauf hinzuweisen, dass keine Religion und keine Kultur das letzte Wort gegen die Gleichheit der Geschlechter haben darf. Und diese Gleichheit wird vom allgemeinen Gesetz, das zwingend für alle gilt, besser gesichert als von einem Relativismus, der den Weg zu lauter Ausnahmen bahnt.
Davon waren die Feministinnen bis zu dem Augenblick überzeugt, in dem einige von ihnen den sexuellen Partikularismus als einen entscheidenden Schritt zur Emanzipation der Frau verkündeten. Die Annahmen von Besonderheiten waren die zweite Niederlage des Universalismus, die vielleicht nicht minder den überstürzten Rückzug der Frauen signalisiert.


Aus:
Elisabeth Badinter, Die Wiederentdeckung der Gleichheit. Schwache Frauen, gefährliche Männer und andere femininistische Irrtümer, Ullstein Taschenbuch, Dezember 2005

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Das ist Katzenhasserwerbung! ;-)

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