"Die Strippenzieher"
Viele Wechsel aus den Ministerien in die Wirtschaft tragen dazu bei, dass sich die Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft mehr und mehr auflösen. Und sollten die eigenen Kontakte einmal doch nicht genügen, sind Public-Affairs-Berater zu Stelle, die gute Drähte in den Bundestag und Ministerien gegen ein ordentliches Honorar nutzen, um persönliche Gespräche zu organisieren. Es hat also durchaus einen Grund, dass die Mehrheit der Bürger das Gefühl hat, die Wirtschaft beeinflusse Beamte, Minister und Abgeordnete mehr denn je.
Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine geschickte, höchst erfolgreiche Medienarbeit vieler Lobbyisten. Sie schaffen es, die Interessen der Wirtschaft so flächendeckend in den Medien unterzubringen, dass bei einem Blick in die Zeitungen manchmal das TINA-Syndrom aufkommen könnte: There is no alternative - es gibt keine Alternative zu den Ansichten der Wirtschaft. Den Lobbyisten kommt entgegen, dass viele Redaktionen bei Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendern aufgrund einer Werbekrise, die im Jahr 2000 begann und bis heute nicht ausgestanden ist, personell ausgedünnt wurden. Werbeerlöse brachen in bisher nicht gekanntem Ausmaß ein, das Geschäft mit den Stellenanzeigen löste sich auf. Wegen der Wirtschaftsflaute gab es kaum noch Börsengänge mit entsprechenden Kampagnen, die große Zeit der Privatisierungen in der Telekommunikation und Energieindustrie war vorbei, Werbeschlachten um Marktführerschaft und Markenbildung wurden nur noch in eingeschränktem Maße geschlagen. Dazu wanderten Immobilien- und Autoanzeigen dauerhaft ins Internet ab. Weil gleichzeitig auch die Auflagen vieler Zeitungen zu schrumpfen begannen, Leser nicht mehr genug Geld übrig und die Jugend einfach weniger Lust zum Zeitung lesen hatte, befanden sich die Einnahmen vieler Verlage im freien Fall. Über Jahre war das Sparen fast wichtiger als das Schreiben.
Unter diesem Druck ist in vielen Redaktionen die Hemmung geschwunden, mit Lobbyisten zusammenzuarbeiten, sofern sie exklusive Nachrichten versprechen. Redaktionen sehen sich beinahe gezwungen, sich den Pressestellen von Unternehmen, Verbänden und eben Lobbyisten zuzuwenden, denn exklusive Nachrichten sind aus zwei Gründen wichtig: Zum einen geht es um die Frage, wie oft ein Medium von seinen Konkurrenten zitiert wird. Das vergrößert oder schmälert seinen Ruf. Zum anderen dürfen Zeitungen und Magazine auf einen höheren Verkauf am Kiosk hoffen, wenn sie die "Nachricht des Tages" verbreiten können, und jeder Tag, an dem das gelingt, verringert den ökonomischen Druck ein wenig.
An diesem Punkt setzen Lobbyisten an und inszenieren Ereignisse, die - nach den Regeln der Medien - als Nachricht taugen. Sie verändern damit ein altes Gleichgewicht aus Bonner Zeiten. Damals galt, um es stark vereinfacht auszudrücken: Während Unternehmer, Manager oder Wirtschaftsverbände problemlos einen Termin bei einem Minister bekamen und manchmal sogar der Bundeskanzler Zeit für sie hatte, vertraten sie ihre Interessen vergleichsweise selten in den Medien. Den engen Kontakt mit den Medien überließen sie vielmehr Verbraucher- und Umweltschützern. In der Berliner Republik gilt das nicht mehr. Sobald ein Gesetz vorbereitet wird, welches den Interessen der Wirtschaft zuwiderläuft, werden heutzutage PR-Agenturen angeheuert, um "richtige" Informationen zu verteilen. Sie suchen passende Zahlen, lassen nützliche Studien erstellen - und plötzlich ist auch der Konzernchef zum Interview bereit. So werden Firmenverlautbarungen als Medienereignisse inszeniert, die oft genug als prominente Nachricht in eine Tageszeitung und damit am nächsten Morgen ins Büro des Ministers gelangen.
Aus:
Cerstin Gammelin/Götz Hamann, Die Strippenzieher. Manager, Minister, Medien - Wie Deutschland regiert wird, Econ, Berlin 2005
Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine geschickte, höchst erfolgreiche Medienarbeit vieler Lobbyisten. Sie schaffen es, die Interessen der Wirtschaft so flächendeckend in den Medien unterzubringen, dass bei einem Blick in die Zeitungen manchmal das TINA-Syndrom aufkommen könnte: There is no alternative - es gibt keine Alternative zu den Ansichten der Wirtschaft. Den Lobbyisten kommt entgegen, dass viele Redaktionen bei Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendern aufgrund einer Werbekrise, die im Jahr 2000 begann und bis heute nicht ausgestanden ist, personell ausgedünnt wurden. Werbeerlöse brachen in bisher nicht gekanntem Ausmaß ein, das Geschäft mit den Stellenanzeigen löste sich auf. Wegen der Wirtschaftsflaute gab es kaum noch Börsengänge mit entsprechenden Kampagnen, die große Zeit der Privatisierungen in der Telekommunikation und Energieindustrie war vorbei, Werbeschlachten um Marktführerschaft und Markenbildung wurden nur noch in eingeschränktem Maße geschlagen. Dazu wanderten Immobilien- und Autoanzeigen dauerhaft ins Internet ab. Weil gleichzeitig auch die Auflagen vieler Zeitungen zu schrumpfen begannen, Leser nicht mehr genug Geld übrig und die Jugend einfach weniger Lust zum Zeitung lesen hatte, befanden sich die Einnahmen vieler Verlage im freien Fall. Über Jahre war das Sparen fast wichtiger als das Schreiben.
Unter diesem Druck ist in vielen Redaktionen die Hemmung geschwunden, mit Lobbyisten zusammenzuarbeiten, sofern sie exklusive Nachrichten versprechen. Redaktionen sehen sich beinahe gezwungen, sich den Pressestellen von Unternehmen, Verbänden und eben Lobbyisten zuzuwenden, denn exklusive Nachrichten sind aus zwei Gründen wichtig: Zum einen geht es um die Frage, wie oft ein Medium von seinen Konkurrenten zitiert wird. Das vergrößert oder schmälert seinen Ruf. Zum anderen dürfen Zeitungen und Magazine auf einen höheren Verkauf am Kiosk hoffen, wenn sie die "Nachricht des Tages" verbreiten können, und jeder Tag, an dem das gelingt, verringert den ökonomischen Druck ein wenig.
An diesem Punkt setzen Lobbyisten an und inszenieren Ereignisse, die - nach den Regeln der Medien - als Nachricht taugen. Sie verändern damit ein altes Gleichgewicht aus Bonner Zeiten. Damals galt, um es stark vereinfacht auszudrücken: Während Unternehmer, Manager oder Wirtschaftsverbände problemlos einen Termin bei einem Minister bekamen und manchmal sogar der Bundeskanzler Zeit für sie hatte, vertraten sie ihre Interessen vergleichsweise selten in den Medien. Den engen Kontakt mit den Medien überließen sie vielmehr Verbraucher- und Umweltschützern. In der Berliner Republik gilt das nicht mehr. Sobald ein Gesetz vorbereitet wird, welches den Interessen der Wirtschaft zuwiderläuft, werden heutzutage PR-Agenturen angeheuert, um "richtige" Informationen zu verteilen. Sie suchen passende Zahlen, lassen nützliche Studien erstellen - und plötzlich ist auch der Konzernchef zum Interview bereit. So werden Firmenverlautbarungen als Medienereignisse inszeniert, die oft genug als prominente Nachricht in eine Tageszeitung und damit am nächsten Morgen ins Büro des Ministers gelangen.
Aus:
Cerstin Gammelin/Götz Hamann, Die Strippenzieher. Manager, Minister, Medien - Wie Deutschland regiert wird, Econ, Berlin 2005
Morgaine - 29. Sep, 10:33
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