Samstag, 2. Oktober 2004

Gespräch unter Fremden

Samstagnachmittag in der Fußgängerpassage. Am Infostand vor dem WDR sitzen zwei Frauen hinter einem Tisch, die Blicke vor sich gesenkt auf Prospekte, Flyer und Bücher. Eine Frau, Ende 30, steht hinter ihnen, schwarze Haare, Kurzhaarschnitt, ein kluges, freundliches Gesicht. Ich spreche sie an, lächele, kreuze einen Moment die Arme vor meinem Körper, nehme sie dann wieder herunter.
"Das nenne ich allerdings mutig. Sich an einem Samstagnachmittag mit diesem Stand in die Innenstadt zu wagen."
Auch sie lächelt mich an, sieht mir in die Augen.
"Ja, nicht wahr. Wir haben unsere Klage in Düsseldorf gegen den Verfassungsschutz gewonnen."
Ich nehme einen der Flyer in die Hand, sehe mir kurz die Überschriften an, neben dem Flyer liegt die Biografie von Ron Hubbard und der Klassiker der Scientologen, das Buch "Dianetik". Für viele ist es das Einsteigerbuch.
Ich sage ihr, dass ich früher Extremismus-Seminare durchgeführt habe, dass ich das Programm der Scientologen gut kenne. Sie lacht, wir kommen näher ins Gespräch. Ich erzähle ihr, dass ich ein Buch über Blogs geschrieben habe, nein, sie weiß nicht, was Blogs sind, ich bin einen Moment lang nicht sicher, schreibe ihr dann doch die Adressen meiner Internet-Seiten auf, plaudere ein wenig über die letzten Monate, über BlogLand. Dann meine Frage:
"Welche Zielgruppe sprechen Sie denn an? Soweit ich das sehe, Studenten?", und zeige auf das große Plakat an der Seite des Stands.
Sie lächelt nicht mehr.
"Nein, das ist so nicht richtig.", unterbricht sich dann selbst, zögert einen Moment.
"Doch, natürlich. Studenten sind eine Gruppe. Und viele andere auch."
"Ja, ich sehe es. Dahinten auf dem Plakat zum Beispiel, das ist das beliebte Drogenbekämpfungsprogramm. Eine weitere Zielgruppe".
Sie nickt. Wir unterhalten uns jetzt die Schwierigkeiten von Methadonprogrammen, über den Versuch, damit wenigstens die Beschaffungskriminalität zu verhindern, über die starke Abhängigkeit von Methadon, die schlimmer ist als Heroin. Wir sind uns einig, in diesem Punkt.
Dann einzelne Sätze über Meinungsfreiheit.
"Sie wissen ja, wir werden verfolgt".
"Ja. Aus verschiedenen Gründen. Ich weiß. Und das rechtfertigt nicht, sich mit den Opfern des Holocaust zu vergleichen".
Sie schweigt.
Wir unterhalten uns dann noch ein paar Minuten. Beim Abschied lacht sie mich wieder an, wünscht mir viel Glück. Jetzt sitze ich hier an meinem Schreibtisch und denke über sie nach. Irgendwie mochte ich diese Frau. Ich mochte die Art und Weise, sich mit mir zu unterhalten und ich habe nicht ein einziges Mal während des Gespräches daran gedacht, dass sie wahrscheinlich diverse Kommunikationstrainings absolviert hat. Ich mochte ihren klaren Blick, ihre Art, mir auch dann noch in die Augen zu blicken, als deutlich wurde, wie sehr sich unsere Haltungen an einigen Stellen doch unterschieden.

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Astrid Haarland M.A. Politologin - Soziale Kunst- und Ausstellungsmacherin - Commander/ISLA - a.haarland(at)googlemail.com - Choose safe communication ... ;-)

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