Montag, 6. Juni 2005

"Die Reformlüge"

Herrn Müller lese ich gerade auch. Was mir auffällt, betrifft einmal mehr mein "Fachgebiet". Nein, ich äußere mich nicht schon wieder dazu, dass Arbeit nicht nur Erwerbstätigkeit außer Haus ... Gerne würde ich nun auch das hier verstehen. Leider begreife ich rein gar nichts. Warum kann Wachstum nur erzeugt werden, wenn die Gesamtverschuldung steigt?

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Hackmeck - 7. Jun, 01:36

Ich verstehe diese Kritik auch nicht wirklich. Aber so viel: Der Autor ist wohl Anhänger der "Freiwirtschaftstheorie" Silvie Gesells, die sich im Internet einiger Beliebtheit zu efreuen scheint (oder sehr präsente Anhänger hat):

http://de.wikipedia.org/wiki/Silvio_Gesell
http://de.wikipedia.org/wiki/Freiwirtschaft
kinomu - 7. Jun, 05:31

Ich führe das nicht-verstehen-können darauf zurück, dass sich der Autor von so-zi-al nicht allzu viel mit Wirtschaftswissenschaft beschäftigt hat, er hätte sonst kaum "Ökonomen weigern sich bekanntlich hartnäckig, auch die Geldseite in Betracht zu ziehen..." geschrieben.

Im Artikels über "Freiwirtschaft" wird behauptet, Bargeld vermehre sich selbst. Meines nicht. (Benötigt es vielleicht anregende Videos?) Im Gegenteil: es wird laufend weniger wert. (Im Artikel sind viele Widersprüche zu finden, aber wahre Gläubige Fanatiker lassen sich dadurch nicht verwirren.)
pathologe - 7. Jun, 10:36

Herr Müller ist interessant zu lesen, keine Frage.
Zurück zum Thema: Ich kann mir die Argumentation nur so erklären, dass ich zur Herstellung eines Gutes Arbeitszeit benötige. Wenn ich das Gut/die Ware verkaufe, zahlt der Käufer sowohl den Gegenwert der Ware als auch meine Arbeit. Um dies tun zu können, benötigt er Geld. Ich wiederum nehme sein Geld und bezahle damit den Wert des Gutes (sofern ich das Rohprodukt von jemanden bezogen habe). Den Rest der Bezahlung (für meine Arbeit) behalte ich oder investiere ihn wieder. Mein Käufer muss seine Schulden erhöhen, um in den Genuss der Ware zu kommen.

So, und ab hier wird es für mich ebenfalls unverständlich, da ich ja den Mehrwert durch meine Arbeit wieder in Umlauf bringe. Also die Geldmenge des Umlaufs wieder erhöhe. In so fern ist das Argument der steigenden Gesamtverschuldung unverständlich. Herr Müller lässt sich ja auch darüber aus, dass gerade eine steigende Staatsverschuldung Antrieb für das Wirtschaftswachstum gibt (Vertrauensbildung und Arbeit durch Auftragsvergabe aus dem öffentlichen Bereich), dass sich in Folge durch Konsum (der Arbeitenden und beauftragten Firmen) wiederum per Steuerzahlung schuldenmindernd auswirkt. Eine Patt-Situation (aus meiner Sicht) wäre allerdings nur möglich, wenn die Steuereinnahmen des Staates der Höhe des investierten Geldes entsprächen.
Morgaine - 7. Jun, 13:09

- Herr Kinomu, was die Vermehrung Ihres Geldes mit schwangeren Pandabären zu tun, muss man nicht auf Anhieb verstehen, oder? Obwohl, mir fiele dazu auch noch was ein. Das allerdings ist nicht stubenrein und kann von mir erst wieder nach dem Genuss von drei bis vier Gläsern Rotwein pointiert genug beschrieben werden.

- Der Vorschlag von Herrn Müller ist also: Eine steigende Staatsverschuldung aufgrund vertrauensbildender Maßnahmen wie öffentliche Auftragsvergabe, in Folge dessen Schaffung von Arbeitsplätzen und vermehrter Konsum? Ein New Deal zur Ankurbelung der dringend notwendigen Binnennachfrage? Habe ich das richtig verstanden?
pathologe - 7. Jun, 13:50

Sie lesen es doch gerade, oder?

Aber ja, so stellt sich Herr Müller dies vor. Wenn der Staat Aufträge vergibt, haben die Auftragnehmer direkt einen Nutzen davon. Dies erfordert natürlich Arbeitnehmer zur Auftragsausführung. Diese Arbeitnehmer konsumieren (das tut ein Arbeitsloser auch, jedoch auf niedrigerem Niveau, ergo weniger Kaufkraft) und zahlen Steuern, wie auch der Auftragnehmer. Durch Konsum sichern die AN den Bestand der lokalen Geschäfte, damit die Arbeitsplätze der dort Beschäftigten und somit auch den Steuerfluss einmal direkt (sie selbst) und zum anderen indirekt (Bäckerei, Metzgerei, Angestellte der Bäckerei, Metzgerei) etc.
Morgaine - 7. Jun, 14:22

Sie klingen skeptisch. Oder verstehe ich das falsch? Folgende Punkte habe ich bei Müller (teilweise) bestätigt gefunden

-Ankurbelung der Binnennachfrage mit Hilfe o.g. Instrumente.

- Vermögenssteuer (ausgefallene Vermögenssteuer seit 1996 laut Müller ca. 60 Milliarden)

- Einheitliche Europäische Körperschaftssteuer

- Rentenversicherung: Keine Privatisierung, (zumal Hartz IV paradoxe Folgen hat) das System funktioniert nämlich, wenn nicht jährlichen Kosten der deutschen Einheit in Höhe von 80 Milliarden Euro daraus gedeckt würden.


Was sagt der Fachmann dazu?
kinomu - 7. Jun, 15:47

Wenn öffentliche Aufträge mit dem Ziel vergeben werden, Arbeitsplätze zu schaffen, werden die Mittel selten so eingesetzt, dass der Nutzen möglichst gross ist. (Es werden dann zb Tunnel in Berge gesprengt, die selbst die angeblich davon profitierende Eisenbahngesellschaft als unnötig bezeichnet.)
Die Binnennachfrage steigt kurzfristig etwas, die Nachfrage nach Produkten aus dem Ausland steigt stärker (Auslandsurlaub, Luxusprodukte usw.), die Staatsschulden bleiben langfristig höher und erfordern in Zukunft höhere Zinszahlungen.

Wenn der Staat hohe Kredite aufnehmen muss, steigt die Nachfrage nach Krediten, die Preise (Zinsen) steigen, Investitionen der Wirtschaft werden teurer, es wird weniger investiert, weniger Arbeitsplätze werden geschaffen. (Ausserdem verschlechtern sich die Konditionen für den Staat, je höher er verschuldet ist.)

Ich warte gespannt, wozu Sie der Roweis inspiriert.
pathologe - 7. Jun, 15:52

Ich und Fachmann?

Nein, zuviel der Ehre.
Im Großen und Ganzen stimme ich Herrn Müller zu. Kleinigkeiten müsste man noch herausarbeiten. Beispielsweise die Sache mit dem ausgeglichenen Haushalt durch Steuereinnahmen in Ausgabenhöhe.
Meiner Ansicht nach müsste eine wie auch immer zusammengesetzte Regierung die ursprüngliche Verwendung der Steuern, deren Zweck, wieder in den Vordergrund stellen. Dann würde beispielsweise der Solidaritätsbeitrag in Frage gestellt sein. Wieso müssen 3/4 der Bevölkerung die Zeche für 1/4 zahlen? Zumindest würde erkennbar, dass die Sozialabgaben, verwendet für den eigentlichen Zweck, in ihrer Höhe vollkommen ausreichend seien.
By the way, neulich kam ein äußerst intreressanter Bericht über die Berater der Bundesregierung und die Nützlichkeit der von ihnen erstellten Gutachten. Was da an Geld verschwendet wurde... Na ja, auch eine Art der Wirtschaftsförderung, allerdings nur für McKinsey, Berger und Co.
Morgaine - 7. Jun, 16:47

Öffentliche Auftragsvergabe muß nicht per se dumm sein. Wieso sollte damit nur der kurzfristige Konsum angeregt werden? Wie sieht es mit den Alternativen Energien aus? Ich sehe zwar das Problem von divergierenden Interessenvertretungen. Leichte Entartungen, wie die Förderung von Windenergie an unsinnigen Standorten bedürfen zwar der Korrektur, lässt sich aber doch machen. Wenn nicht gerade wieder der SPIEGEL textet.

Solidaritätsbeitrag?
Inwieweit die Zahlungen immer noch gerechtfertigt sind, kann ich nicht beurteilen. Inwieweit Missbrauch betrieben wurde, kann ich wohl auch nur in Ansätzen beurteilen. Dass allerdings Gesamt-Deutschland für die Neuen Bundesländer zahlt, steht für mich außer Frage. Dazu ist die Solidargemeinschaft da. Und der Länderfinanzausgleich beispielsweise hat bis jetzt doch ganz gut geklappt. NRW hat einmal Bayern "ausgeholfen". Das kommt nun auch dem ganzen Land zugute, indem dort beispielsweise Arbeitsplätze für ganz Deutschland entstehen, Steuern gezahlt werden ....

Wirtschaftsberatung? McKinsey? Nicht pauschal schlecht, wie mir gerade an einem Einzelfall geschildert wurde. McKinsey und eine der bekanntesten deutschen Arbeitsrechtskanzleien verhindern gerade die Zerschlagung eines öffentlichen Dienstleisters zum Billiglohn-Sektor mit Hire-And-Fire-Methoden.


Zur Frage der Stellungnahme unter Alkohol:
Notfalls kann ich mich später an nix mehr erinnern ... ;-)

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