Freitag, 21. Januar 2005

Der Freitagskommentar

Es ist Freitag abend, und Sie haben keine Lust, zwei Stunden mit der Bahn zum nächsten Date zu fahren? Kein Problem. Gehen Sie einfach auf die Deutschlandkarte von BlogPlan, klicken Ihre Stadt an, die Blogger dort sind nach Haltestellen gelistet, lesen sich die vielversprechendsten Blogs kurz durch und hoffen, dass im Blog Ihrer Wahl die Kommentarfunktion geöffnet ist. Schon dürfte der Weg zum nächsten Date nicht mehr allzu schwierig sein. Sollten Sie es für notwendig halten, erstellen Sie vorher noch kurz ein Datenprofil zwecks besserer Vorbereitung, mit ein wenig Glück finden Sie im Blog ein Foto, einen Hinweis auf die bevorzugte Rotweinmarke, das Alter sowie weitere soziodemographischen Daten, die Namen der Ex-Freunde, politische Einstellungen und mit etwas Glück sogar sexuelle Vorlieben. Das alles sortiert nach Postleitzahl und Haltestelle. Es dürfte das am besten vorbereitete Date Ihres Lebens werden! Und damit Sie das Geld für den Rosenstrauß wieder reinholen, machen Sie Ihrem neuen Kunden am Montag in der Agentur den Vorschlag, ein individuelles direct mailing mit den von Ihnen gesammelten Selektionsmerksmalen der Blogs aus dem Blogrolling Ihres Dates zu verschicken. Ich wette, Ihr Kunde freut sich dieses Mal sehr über die Rücklaufquote. Sie wollen gar kein Date? Sind einfach nur neugierig oder arbeiten im beobachtenden Gewerbe? Noch besser. Gehen Sie Golf spielen. Sie haben ab jetzt Zeit. Der Zoo verwaltet sich in Zukunft selber. Oder suchen Sie die Kollegen aus der Branche im Internet. Dazu geben Sie bei Google einfach das Stichwort "BlogPlan" ein und klicken die Links an, bei denen jemand vorschlägt, BlogPlan auch in seiner Stadt ins Leben zu rufen. Vielleicht finden Sie dort auch einen Hinweis aus unserem Buch, in dem ich im November 2003 unseren Leserinnen mit größtem Enthusiasmus von den Möglichkeiten dieser Vernetzung vorschwärmte.

Sie sammeln Blogs und selektieren nach Vorlieben und Abneigungen? Ich persönlich mag zum Beispiel, wenn auf der Verpackung eines Blogs mit der Kombination von Sex und Anarchie geworben wird. Eher weniger mag ich, wenn der Blogger dann aber auch noch mit Dominanz und Unterwerfung wirbt, das Ganze garniert mit ein bisschen Liebe. Andere Blogger sehen das gelassener und die Zahl der AnhängerInnen dieser virtuellen Spielart scheint größer zu werden, wie ich im letzten Freitagskommentar schrieb.

Bei mittlerweile mehr als 2,5 Millionen Bloggern weltweit dürfte es für Sie kein Problem sein, etwas zu finden, was ganz Ihrem Geschmack entspricht. Vielleicht gefällt Ihnen Collar Purple. "TheBoss and Invidia" haben eine feste Rollenverteilung in ihrer Ehe gefunden und demonstrieren per Blog, dass die Verbindung von Hiebe und Liebe bisweilen recht ausgefallene Formen des Zusammenlebens annehmen kann. Passend zu ihrer Aufgabenteilung ist die Sorge von Invidia um das in den Medien ihrer Ansicht nach verbreitete Männerbild:

"Specifically I speak of the incompetent and stupid stereotype that is being propagated in commercials, sitcoms, and kids' cartoons. You know the stereotype of which I speak - the man who is a complete bumbling dunderhead and constantly needs his wife to help him out of bad situations, or at least to explain things to him."

Damit dieses Männerbild nicht weiter Schule macht, zeigt der Boss von Invidia auf den Fotos im Blog, dass er keine Hilfe benötigt, um ihren Hintern mit deutlich sichtbaren Streifen zu verzieren. Ob die beiden mit ihrer Seite auch Geld verdienen? Ich könnte mir für sie gut die entsprechenden Werbepartner aus dem Bereich Recruitment vorstellen. Die Potenzialanalyse zur Ermittlung berufsrelevanter Eigenschaften dürfte eine gewisse Schnittmenge zu Berufen ergeben, die auf Zucht und
(Unter-)Ordnung großen Wert legen. Hundestaffel-Führer zum Beispiel. Oder Franchisenehmer eines Boot Camps für nicht willige Teenager.

Die deutsche Blogger-Szene ist gerade dabei, das bunte Spielfeld des Sadomasochismus ebenfalls zu besetzen. Ich hätte daher an dieser Stelle gerne auf die nette kleine Geschichte eines Bloggers verlinkt, der seiner geneigten Leserschaft über das Treffen mit der "charmanten E-mail-Adresse" berichtete. Leider wurde dieser Beitrag jedoch wieder gelöscht, was ich nun gar nicht verstehen kann, hatte er sich doch wirklich zusammengerissen, "kein Scheißkerl zu sein. Nur ein bisschen Scheißkerl, gerade so, dass es nicht weh tut". Ganz gelungen scheint ihm das leider nicht zu sein, denn er lächelte, "während sie weiter meinen Schwanz in ihrem Rachen verschwinden und wieder auftauchen ließ. Sanft drückte ich ihren Kopf gegen mich, bis sie würgte. Gutes Mädchen. Kannst du auch kochen?"

Da diese kleine Episode mittlerweile aus dem Google-Cache verschwunden ist, nehme ich an, dass der Schreiber keinen gesteigerten Wert auf Verlinkung legt. Diese Geschichte ist insofern auch bedeutsam, als sie uns auf die Chancen und Risiken eines Online-Dates in Blogland aufmerksam macht. Vielleicht sollten Sie mit Ihrem Blog-Date eine schriftliche Vereinbarung treffen. Etwas im Stil von "Solltest du mich in deinem Blog-Kommentar als charmante E-Mail-Adresse bezeichnen, schreibe ich in meinem Blog über den Inhalt deines Bücherschranks. Denn das ist es, was mich wirklich an dir interessiert." Vielleicht sollten Sie sich aber auch vorher über den Beruf Ihres Blog-Dates informieren. Bleiben Sie hartnäckig. Sie finden seine Blog-Geschichten verdammt professionell geschrieben? Im ICQ hat er Ihnen erzählt, seit kurzem sei er selbstständig in der Security-Branche? Nun: Entweder ist der Mann wirklich vielfältig begabt. Das soll es ja tatsächlich geben. Oder Ihr Blogger aus der Security-Branche braucht noch etwas Inspiration für seinen nächsten Artikel, den Sie später mit etwas Glück in einem der bekannten Online-Magazine lesen können. Sie finden das ganz prima? Dann mailen Sie mich einfach an. Ich schicke Ihnen gerne die URL des entsprechenden Blogs.
Es macht Ihnen dann sicher auch nichts aus, wenn Ihr Blogger zwecks Tilgung seiner Schulden nebenbei ein Erotik-Portal betreibt und Sie heimlich mit der Digitalkamera fotografiert. Das ist schließlich immer noch besser, als wenn Ihr Sohn samstagnachmittags diese Postkarte aus dem Briefkasten holt und sie auf die Kaffeetafel legt: "Mami, du hattest doch gesagt, wir kaufen keine Lutscher, weil da soviel Zucker drin ist".

Nicht immer bleibt Ihr zweites Leben unentdeckt und es ist sicher angebracht, einige Regeln zu beherzigen. Lassen Sie sich Zeit, und lesen Sie aufmerksam die Texte im Blog Ihres Vertrauens. Wieviel gibt er von sich preis und warum tut er das? Manchmal ist der dezente Hinweis auf die wahre Identität ja wirklich gut plaziert und der Arbeitskollege erfährt endlich, es ist die Kollegin vom Schreibtisch gegenüber, in deren Blog er zwischen Weihnachten und Neujahr dieses leckere Bratenrezept fand. Die Maus wird in Zukunft ihre Kommentar-Funktion offen lassen. Und ihr Kollege ein eigenes Blog eröffnen.

Leider ist jedoch auch Blogland nicht frei von Menschen mit psychischen Problemen. Menschen mit gespaltener Persönlichkeit zum Beispiel. Da bloggt zum Beispiel jemand über Monate hinweg den ganz normalen Single-Alltag in alle Welt hinaus, die Geschichten werden immer sentimentaler, die entsprechenden Kommentare auch. Acht Jahre lang Single? Es kommt Ihnen alles so bekannt vor, irgendwie scheint er in Ihrem Leben wie ein offenes Buch zu lesen, wehmütige Erinnerungen an gemeinsames Kuscheln vor dem Einschlafen, unzählige Nächte in Kneipen mit schalem Bier und faden Gesprächen, Silvester mit Sekt und Kater ohne Katze. Wie bekannt kommt Ihnen das alles vor. Sollen Sie es also tun? Sollen Sie wirklich versuchen, mit ihm per Blog in Kontakt zu kommen? Sie zögern. Was nun? Sich im Blog einfach anmelden und Ihren ganz persönlichen Kommentar hinterlassen? Warum eigentlich nicht. Und während Sie noch überlegen, schreibt er über seinen Geburtstag. Und lichtet sowohl das Diner als auch die Frau mit dem Ehering ab. Doch. Das wollten Sie jetzt unbedingt sehen. Leider ist auch das hier Blogland. Sie werden es erfahren. Und dann an vier Möglichkeiten denken: Erstens. Der Arme ist schizophren. Zweitens. Der Typ ist pervers. Drittens. Das Blog braucht Traffic und er daher möglichst viele BesucherInnen auf seiner Seite. Viertens. Der Mann ist Gründer und Guru einer virtuellen Sekte für suchende sadomasochistische Seelen.

Alle vier Punkte sollten für Sie jedoch nur den einen Schluß zulassen: Streichen Sie das Blog sofort aus Ihrer Leselektüre, dem Blogrolling oder Ihren Bookmarks. Und besuchen stattdessen eines der zahlreichen anderen Blogs, in denen ein netter Mensch eine Menge Interessantes zu erzählen weiß. Lesen Sie seine Geschichten. Genießen sie es. Und überlegen sich vielleicht irgendwann einmal, einen netten Kommentar in seinem Blog zu hinterlassen.


Aus:
Chiffre: Morgaine in BlogLand

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Astrid Haarland M.A. Politologin - Soziale Kunst- und Ausstellungsmacherin - Commander/ISLA - a.haarland(at)googlemail.com - Choose safe communication ... ;-)

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