Dienstag, 16. August 2005

Zum Gebet!

Nein, es wird heute keine Fotos aus Köln geben. Vielleicht morgen? Keine Ahnung. Ich mag dieses Spektakel einfach nicht. Seit drei Stunden kreisen die Hubschrauber über uns, unauffällig schlendernde Herren mit roter Helfer-Jacke und Strohhut auf dem Kopf laufen die Straße entlang, und die Glocken läuten bereits zum vierten (?) Mal zum Gottesdienst. Ansonsten ist alles schön ruhig hier.

Trackback URL:
https://morgaine.twoday.net/stories/905054/modTrackback

Trackbacks zu diesem Beitrag

und hier ganz unten ...

.. wird bei der Diskussion um die... [weiter]
moccalover - 16. Aug, 21:46

Ich erkläre mich solidarisch, Frau Morgaine. Mein Leiden hat sich zwar auf ein Bild in der heutigen Gratiszeitung beschränkt: Ein paar Jugendliche aus Michigan bei der Ankunft in Köln. Was mich so plagte, waren die T-Shirts mit grober Bemalung im Spraydosenstil, in der Mitte ein fettes Kreuz und drumherum der ganze Regenbogen aller Farben in Neon.

Diese rein ästhetische Kritik, die sich viele andere Personengruppen ebenfalls zur Beute nehmen könnte, soll aber nicht alles sein: Religion als Happening, das ist nicht jedermanns Sache. Nicht dass Gläubige sich nicht treffen dürften, aber hier riecht es ja auch noch stark nach Funkultur (der spirituellen Art) und Personenkult, nach Glanz und Gloria ohne Inhalt. Professionelle Organisation, Corporate Identity und ein Universalitätsanspruch auf die betroffene Stadt: Austauschbar mit irgend einem grossen Sport- oder sonstigen Event. Und das ist dann noch schaler, dass man sich gar nicht sicher ist, ob man da nicht einfach in einem Tour-de-France Etappenzielort gelandet ist.
Morgaine - 17. Aug, 00:10

heute-journal, eine junge Japanerin inmitten einer Masse von Gläubigen vor dem Kölner Dom: "Wenn so viele Menschen an einem Ort wie diesem sich versammeln, dann muß es Gott doch geben".

Nein, mich plagt nicht das Kreuz auf dem T-Shirt, obwohl ich mich schwer tue mit einer Religion, deren Anhänger zum großen Teil immer noch ein Symbol des Todes und des Leids anbeten. Doch es gibt auch Zeichen von Veränderung. Junge Christen, Mitglieder der Organisation "Kirche von unten", werben in Köln für das Leben, für den Gebrauch von Kondomen.

Mich plagt die nicht stattfindende Auseinandersetzung mit Veränderung, ja, deren Verweigerung. Kirchenkritiker wurden nicht eingeladen, stattdessen setzt man auf Massensuggestion, Musik mit La Ola-Wellen im Müngersdorfer Stadion, Nationalfahnen.
Mich plagt, dass es noch mehr Japanerinnen geben wird, noch mehr Leute, denen alleine die Masse Argument genug ist, um an Gott zu glauben. Dieser Weltjugendtag ist ein Ereignis - Sie schreiben es - deren Inhalte austauschbar sind. Wenn die Masse groß genug ist, werden sie dann auch anderen Führern folgen?
moccalover - 17. Aug, 00:41

Ja, das stört mich auch, die Wahrnehmungsverweigerung vor den Veränderungen!

Und, wenn es sein muss, ist offenbar alles ein genügender Beweis für Gott. Ich halte die Frage nach solcherartigen Beweisen ohnehin für höchst unreligiös, da wissenschaftlich, und nicht spirituell, interessiert.

P.S. die Antwort am andern Ort dauerte, ist aber da.
Morgaine - 17. Aug, 01:30

Die Frage ist, ob dieses Massenereignis die Auseinandersetzung, die Veränderung in Richtung mehr Gerechtigkeit und Gleichheit bewirkt. Den Gottesbeweis stelle ich hintenan, er ist für mich unwichtig, was vielleicht auch daran liegt, dass ich eher die praktische Spiritualität bevorzuge und Wissenschaft als ein Instrument im Dienste des Lebens und der Schöpfung sehe. Vielleicht braucht Gott/Göttin gar keine Götzen?
moccalover - 17. Aug, 14:14

Ja, stellen Sie diesen Beweis ruhig irgendwohin, da steht ja eine müssige, geradezu absurde Fragestellung dahinter.

A propos Veränderung: Das Ganze trägt Züge einer Kirche, die sich dahin verändert, dass sie Elemente der doch so verruchten Pop-und Rockkultur mitsamt dem Personenkult übernimmt, aber für sich umfärbt. So müssen die Kiddies nicht auf Modernes verzichten und können dasselbe gleichzeitig "koscher", d.h. ohne Verunreinigung durch Sex, Drogen, Geldgier, geniessen. Kommt mir jedenfalls bei vielen "modernen" (meist evangelischen) Jesus-ist-geil-Kirchen so vor.
Morgaine - 17. Aug, 18:32

Sie haben eine interessante Ansicht von der Bedeutung des Wortes koscher:
http://de.wikipedia.org/wiki/Koscher

Die Codes der Pop- und Rockkultur? Transportiert denn diese Kultur eine einheitlich codierte Botschaft? Ich sehe da schon noch differente Aussagen unterschiedlicher Akteure. Was das Instrumentarium angeht, besteht eine bedingte Übereinstimmung, bedienen sich beide Systeme doch aus der großen Trickkiste der Sozialpsychologie
http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialpsychologie
im Verbund mit massenmedialer, ganze Kontinente übergreifenden Kommunikation. Das Ausmaß dieser Massenmobilisierung übertrifft sicherlich kühnste Vorstellungen ehemaliger großdeutscher Propaganda-Strategen. Schön, dass noch nicht alle auf Einheitsfernsehen geschaltet haben.
moccalover - 17. Aug, 20:30

Ja, ich hoffe, das ist nicht verletzend, wenn ich das Wort seinem ursprünglichen Kontext entreisse. Weit davon entfernt, es in der gebräuchlichen Wendung "nicht ganz koscher" zu verwenden, glaubte ich doch, dass es hier, wo es darum geht, dass die Kirchen sich Popkultur ohne deren dunklen Seiten aneignen wollen, sinnvoll verwendet werden könnte.
Morgaine - 18. Aug, 00:37

Die dunklen Seiten der Pop-Kultur sind die, die überall dunkel sind: Die des Übermaßes, der Sucht. Ansonsten halte ich beispielsweise Sex für eine sehr lichte Erscheinung, wenn ich denn im Dunkel-Hell-Bild bleiben darf. Wie schön wäre es, würde sich die katholische Kirche endlich dieser Helligkeit stellen. Herr Meissner hingegen spricht im Müngersdorfer Stadion lieber von Beten statt Sexualität. Und das ist aus meiner Erinnerung des gestrigen heute-journals heraus fast der O-Ton.
moccalover - 18. Aug, 08:44

Oh ja, da gehe ich absolut einig, Sex ist nicht dunkel! Dass er von Dunklem (Machtstreben, Egoismus, Brutalität, Gemeinheit) durchtränkt sein kann, fällt nicht auf ihn zurück. Ich finde auch, dass die Kirche dies so sehen dürfte, aber ich fürchte, man hat die Leute besser im Griff, wenn man ihnen sagt, diese nicht ganz zu bändigende Kraft in ihnen sei schlecht und müsse daher am Kircheneingang definitiv abgegeben werden.
kinomu - 18. Aug, 13:51

Zu früheren Zeiten kam es öfters vor, dass sie am Kircheneingang nicht abgegeben wurde, Samuel Pepys (1633 - 1703, heute würde er sicher bloggen) soll davon berichten, wie er während der Messe mit einer Frau vögelt.

Früher waren die Prioritäten anders:
Zu Beginn der christlichen Ära hatte St. Augustin dem mittelalterlichen Denken die prinzipielle Richtung vorgegeben, indem er die Begierde nach Geld und Besitz als eine der drei Hauptsünden des gefallenen Menschen anprangerte; die beiden anderen waren Machtgier (libido dominandi) und sexuelle Begierde. Insgesamt verurteilte Augustin diese drei Triebe und "Leidenschaften" völlig unterschiedslos. [S.17]

In den vielen, im 17. Jahrhundert erschienenen Abhandlungen über die Leidenschaften wird Habgier unverändert als die "schlimmste von allen" beurteilt und hält noch immer ihre Stellung als die tödlichste aller Todsünden inne, die ihr gegen Ende des Mittelalters zugewiesen worden war. [S.50] (Albert O. Hirschman: Leidenschaften und Interessen. Politische Begründung des Kapitalismus vor seinem Sieg)
Morgaine - 18. Aug, 19:42

Wie, man kann doch gleichzeitig beten und bumsen? Sorry, mußte jetzt sein, bei der Vorlage ... ;-)

Zu mehr Kommentar bin ich im Moment leider nicht fähig, nach einstündiger Pause setzt hier schon wieder das Geläut ein ... und am Himmel kreisen und kreisen und kreisen ...
kinomu - 18. Aug, 19:48

Dafür gibt es sogar einen Namen: Stoßgebet.
moccalover - 19. Aug, 00:16

Ja, die Habgier wird von dieser in Köln feiernder Kirche nicht zuvorderst angeprangert; sie muss vergessen worden sein. In den Spenden reicher Katholiken?

Eine sehr aufschlussreiche Passage, Herr kinomu, ich las mit Interesse. Das Gute und das Schlechte jeder Religion spiegelt sich darin: Der Schreiber möchte die Leidenschaften, Triebe und Lüste des Menschen in jeglicher Hinsicht zähmen, weil sie Schlechtes anrichten können, aber es scheint durch, wie über die Beherrschung dieser Leidenschaften auch Beherrschung über den Menschen ausgeübt werden kann.

Und ja, früher wurde die Sexualmoral in der Kirche noch anders gelebt. Und auch heute nicht anders, aber tausendfach versteckt. Nicht mehr so opulent, wie im Mittelalter.
Morgaine - 19. Aug, 11:37

Geheime Tagebuchschreiber hat es wohl schon immer gegeben. Seitdem es Blogs gibt, werden die Schlüssellöcher zu den Geheimnissen der narzisstischen Geheimen immer größer. Doch Voraussetzung eines glaubwürdigen Schreibens über die Triebe der Leidenschaft und Lüste ist, dass man selber in sich derartige Triebe verspürt und nicht nur zur Schau stellt. Ansonsten wird die Nummer auf der Bühne der geheimnisvollen Geheimen schnell zur Null-Nummer, die Ahnung eines anwesenden Als-Ob beschleicht die Zuschauer dieses Spektakels im Zuschauerraum. Ganze Gemeinschaften speisen sich aus Szenarien des Als-Ob. Ob die Verteter diverser "Als-Ob-Organisationen" der Sublimation willen die "Ora et labora"-Devise derart verinnerlicht haben, dass sie ihr substituierendes Tun und Treiben nun auch noch in Blog, Chat und ICQ ausleben müssen?
http://autismuskritik.twoday.net/

VerehrerInnen der in diesen Organisationen tätigen Als-Ob-Herzen unterliegen übrigens oft denselben triebsublimierenden Ersatzhandlungen.
http://autismuskritik.twoday.net/stories/910497/#912391

Zufallsbild

waffeorange

Contact

Astrid Haarland M.A. Politologin - Soziale Kunst- und Ausstellungsmacherin - Commander/ISLA - a.haarland(at)googlemail.com - Choose safe communication ... ;-)

Suche

 

Comment History

Credits