Sonntag, 17. April 2005

Weltanschaulich geprägte Tribunale mit Heiligen-Schein

Während ich das Buch von Necla Kelak lese und im Netz recherchiere, denke ich wieder einmal an meine türkische Studienfreundin Ümit. Sie hatte es damals geschafft, riss von zu Hause aus und erkämpfte sich alleine ihren Weg in die Freiheit. Eine wunderschöne Frau mit Pagenkopf-Frisur, die in den ersten Semestern als Putzfrau in einem Hotel arbeitete, bis die Jobs besser wurden. Wir studierten Ende der Achtziger beide Politikwissenschaften, und ich bin ihr noch heute dankbar dafür, dass sie mich recht unsanft aus meinem multikulturellen Dornröschenschlaf weckte. Ihr Zorn als Frau und ihre fast flehentliche Bitte an uns Deutsche, aktiv zu werden gegen die Tyrannei des Fundamentalismus, haben mich seitdem begleitet.

Doch selbstverständlich ist es längst nicht so, dass die bundesdeutsche Wirklichkeit ein Paradies für Frauen ist. Ein Vorstellungsgespräch vor einigen Jahren beispielsweise war eine lehrreiche Erfahrung, die Jungmännerrunde mit Herrn Abgeordneten XY in der Mitte entwickelte sich ganz schnell zu einem weltanschaulich geprägten Tribunal. Zwölf Männer auf der anderen Seite des Tisches argumentierten mit Hilfe des altbekannten Spiels von Good Guy und Bad Guy gegen die alleinerziehende Mutter, die sich nicht einschüchtern ließ und mit einem leisen Lächeln das Spiel begleitete, weil sie nämlich selber unter anderem dummjung-dynamische Männer wie diesen hoffnungsfrohen Nachwuchs in Rhetorik-Kursen für ihre heiß ersehnten Karrieren fit gemacht hatte.

Leider steht nicht nur muslimischen Fundamentalisten, sondern auch manchem jungen Herrn mit unverkennbar bundesdeutscher Sozialisation das Huren-Heilligen-Schema noch unverkennbar auf der Stirn geschrieben. Mütter mit langen roten Haaren und rotem Lippenstift, die sich nicht scheuen, ab und zu ihren Universitätsabschluß durchblicken zu lassen, sind eben nicht unbedingt kompatibel mit jedem weltanschaulich geprägten Hirn in Entscheider-Position.

Der Dämon sitzt im Unterleib

Weibliche Sexualität und der Dämon Lilith

Hure und Heilige

"Like a virgin"

2. Juli 1990
Italienische Bischöfe veröffentlichen eine Kampagne gegen die Konzerte der amerikanischen Pop-Sängerin Madonna:
"Ihre neue Show mit ihren Symbolen und ihrer Wertvorstellung sind eine Beleidigung des guten Geschmacks"

Schlampen. Oder: Dürfen Mädchen schaukeln?

"Am Sonntagmorgen versammelte sich die ganze Nachbarschaft immer an der gleichen Stelle am Strand. Unter riesigen Pinienbäumen wurde das Mitgebrachte aufgetischt. Mein Vater band für uns Kinder eine Schaukel an den Baum. Für europäische Ohren mag das wie selbstverständlich klingen, Mädchen auf Schaukeln, aber heute sieht man kaum noch ein Mädchen aus einer muslimischen Familie schaukeln, weder in Bursa noch in Berlin.

...

Wo der Islamunterricht an Schulen eingeführt wurde, nimmt die Zahl der Kopftuch tragenden Mädchen zu. Für den Vorsitzenden der islamischen Förderation, die diesen offiziell abgesegneten Religionsunterricht betreibt, Burhan Kesici, ist das Kopftuch - unter Berufung auf den Koran - obligatorisch. Wohlgemerkt: Hier ist von Grundschulkindern die Rede, von Mädchen zwischen sechs und zwölf Jahren (Berlin hat sechs Grundschuljahre), denen abverlangt wird, sich zu verschleiern. In muslimischen Ländern wird ein Mädchen verschleiert, wenn es als heiratsreif gilt, das heißt geschlechtsreif ist. Im Iran dürfen Mädchen ab dem neunten Lebensjahr verschleiert werden. Was bedeutet es, wenn sich in Deutschland Sechs- oder Achtjährige mit dem Kopftuch bedeckt sollen? Sehen die muslimischen Männer in ihnen Sexualobjekte?


kleinesmdchen


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Der Moderator stellt die Diskutanten auf dem Podium vor. Zuerst spricht die Leiterin einer Gesamtschule aus dem Ruhrgebiet, an deren Schule neun von zehn Kindern aus muslimischen Migrantenfamilien kommen. Mit den deutschen Kindern hätten diese nahezu keine Probleme - wohl aber untereinander. Eine immer größer werdende Zahl von Mädchen würde inzwischen mit Kopftuch in die Schule kommen und ihre nicht Kopftuch tragenden Mitschülerinnen als 'Schlampen' beschimpfen, als 'Unreine'."


Texte: Necla Kelek, Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005

Bild: Yann Arthus-Bertrand, Die Erde von oben. Für Kinder erzählt, GEOlino, Knesebeck München 2001

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Astrid Haarland M.A. Politologin - Soziale Kunst- und Ausstellungsmacherin - Commander/ISLA - a.haarland(at)googlemail.com - Choose safe communication ... ;-)

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