Donnerstag, 2. Juni 2005

"Trinken in Zeiten der Rasterfahndung"

Nach ein paar Wochen Italia wieder in der geliebten Heimatstadt, aber schon im Treppenhaus der erste Schock: Natürlich hatte die neugierige Ahl mit den lila Haaren mich gehört, sofort die Tür aufgerissen und ohne Gruß zu texten begonnen:
„Ich hatt sunne Angs um üch, wäjen denne Flugzeugentführere. Oder sidder zorück net jeflore?“
„Doch, aber LTU.“
„?“
„Die einzigen Extremisten, die es da gibt, sind die Landungsklatscher aus Bergheim.“
„? - ?“
Meine Antwort, auf die ich schon ein bißchen stolz war - meistens fällt einem so etwas ja zu spät ein - verschaffte mir trotz der Koffer soviel Vorsprung, daß ich, als sie sich gesammelt hatte und begann das Wetter zu thematisieren, schon die Tür zugeschlagen hatte.

Der Entschluß, die Koffer heute nicht mehr auszupacken war schnell gefaßt, zumal ich nach dieser Ankunft dringend meinen Körper mit Kölsch versorgen mußte, und noch bevor ich die Kleidung gewechselt hatte, klingelte schon das Telefon mit dem ersten Trinkgenossen am anderen Ende. Nachdem ich meinem kurzen Urlaubsbericht beendet hatte, antwortete er orakelnd auf meine Frage, wie es ihm denn ginge, mit:
„Wie der ganzen Welt“.
Einmal durchatmen, zweimal durchatmen, -: O.K. ich muß nicht weiter angezählt werden, aber dem Herrn am anderen Ende mitteilen, daß ich zu müde zum Rausgehen sei. Nachdem ich dann schnell den Hörer aufgelegt hatte, mußte ich noch eine (nämlich die gemeinsame) Stammkneipe von meiner Liste streichen und konnte, nun endgültig aller Erholung beraubt, meine Wohnung Richtung Brauhaus verlassen.

Die ersten sieben Kölsch schmeckten herrlich und ließen sich problemlos konsumieren, da am Nebentisch über den FC debattiert wurde. Beim achten allerdings mußte der Köbes mir unbedingt unaufgefordert mitteilen, daß er Biergenuß ins Raster aufnehmen würde, weil:
„Die suffe ja net, die Muselmanen.“
„Ja, und Vegetarier und Hundliebhaber sind auch hochgradig verdächtig.“ „? - ?“
Wieder geschafft; zum Glück wurde ich bis jetzt nur von der langsamen Sorte Mensch penetriert, was mir inzwischen fast schon ein bißchen schade erschien. Ein Ortswechsel war dennoch angesagt, also machte ich mich auf den Weg in eine meiner Stammschänken im Kölner Süden. Aber was war das? -: Brechend voll und kein einziges bekanntes Gesicht. Erst jetzt wurde mir bewußt, daß Samstag war, ein Tag also, an dem ich normalerweise das Haus nicht verließ. Aber da ich nun schon mal hier war und außerdem Reissdorf ausgeschenkt wurde ... und was kann da noch passieren! Vor mir an der Theke, ich hatte nur einen Platz in der zweiten Reihe bekommen, drei Yuppies die so laut, daß es ja keiner überhören konnte, von ihrer Arbeit beim Sender protzten und zwischendrin Vornamen von - ihnen natürlich gut und persönlich bekannten - Yellow-Press-Berühmtheiten locker und lässig fallen ließen. Ich gab ihnen eine Runde aus und mich als Kollegen von der müllverarbeitenden Industrie zu erkennen. Nachdem wir ein wenig rumgefloskelt hatten, erzählte ich ihnen, daß Günther mir ein Erfolg (also Gewinn) versprechendes Projekt mit dem Titel „Wer ist Terrorist?“ vorgeschlagen hätte.
Auf die interessiert fragenden Blicke hin erläuterte ich ihnen das international vermarktbare Format:
„Während der Sendung wird durch amüsantes Denunzieren und gezielte Beweisaufnahme, je nach Volk und Mentalität mit unterhaltsamen Gimmicks (Elektroschocks, Schlafentzug, etc. -: Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt), ermittelt wer ins Raster paßt. Die Tagessieger erhalten einen Schurkenpaß, werden mit einem angemessenen Kopfgeld ausgestattet und bekommen (aus sportlichen Gründen) einen Vorsprung vor der globalen Entrüstung. Am Ende der Sendung wird die Jagd eröffnet. Die Abschußquoten können täglich in der Tagesschau genannt werden, kurz nach den nicht genannten Zahlen der Hungeropfer, gefolgt von, durch Siegesfanfaren angekündigt, neuen Börsenhöchstkursen.“
Endlich hatte ich einen Platz an der Theke.

Dieses kleine Revier würde ich für den Rest des Abends nicht mehr hergeben und meine akustische Unversehrtheit schon zu verteidigen wissen. Und sofort wurde ich von dem links kauernden Ökopärchen gefordert, welches mitbekommen hatte, wie ich die RTL-Heinis losgeworden war und nun meinte, sich mit mir fraternisieren zu müssen. Ihnen kam ich mit Nietzsche bei: Ich dozierte, daß der einzige Terror, den es gebe, der des Todes über das Leben sei und deshalb als absolutes „Ja“ zur menschliche Existenz nur der Gedanke der ewigen Wiederkehr der Gleichen tauge. Das begriffen sie natürlich nicht und redeten, vom Namen Nietzsche angestachelt, christlich auf mich ein und kamen mir, nachdem ich einen eleganten Bogen um alle Exponenten des Terrors von Washington über Moskau nach Rom und Jerusalem bis nach Hürth und zurück nach Hollywood geschlagen hatte, auch noch mit dem Begriff Demokratie. Meine Ruhe erlangte ich erst wieder, nachdem ich ihnen sehr frei nach Arno Schmidt, den sie sowieso nicht kannten, erläuterte, daß man um das „demokratische“ Wahlrecht(=das war für sie Demokratie) zu erlangen meiner Meinung nach eine Prüfung ablegen und zusätzlich nachweisen müsse, in keiner Kirche zu sein.
Der weibliche Teil des Ökopärchens kam daraufhin zur Vernunft und ließ verlauten, daß ich viel zu betrunken für eine vernünftige Diskussion sei. Hierauf konnte ich ihnen diesmal wörtlich Arno Schmidt mit auf den eiligen Heimweg geben:
„Man lebt wesentlich glücklicher ohne Schnaps! Theoretisch.“

Ich fühlte mich schon gerettet, als ich sah, wie die Blondgelockte, die weiter links gesessen und unseren Disput belauscht hatte, sich und ihr Getränk neben mich plazierte. Fest davon überzeugt, daß jetzt so etwas Furchtbares wie, „ich finde intellektuelle Männer unheimlich erotisch“, kommen würde, versuchte ich einen gewaltigen Rülpser aus meinen Eingeweiden zu kramen. Statt dessen bestellte sie zwei Bier und grinste mich einfach an. Nach einer Weile sagte sie:
„So, wie Du Nietzsche interpretierst, werden auch die inkomprehensiblen Platzhalter im modernen Existentialismus, Atheismus und das Absurde, überflüssig.“
Scheiße, ja, dachte ich, aber irgendwie war ich jetzt wirklich zu leer bzw. zu voll für allzu Tiefschürfendes. Ich wollte gerade zu einer Erklärung dieses alkoholbedingten Sachverhaltes ansetzen, als sie mir deutlich zu verstehen gab, daß das doch noch ein schöner Abend werden würde, indem sie ganz nebenbei sagte:
„Aber darüber können wir ja auch noch morgen beim Frühstück reden.“
Worauf mir die passende Antwort auf die Fragen der Zeit und des Abends einfiel und ich meine Stimme erhob und folgendes kund tat:
„Franz, tu mir noch zwei Bier un zwei Kabänes!“


Aus: Jürgen Reinecke, Der Tag, als unser Tresen verschwand,
Schagen & Koch, Lohmar 2004


*********************************************************************************
Jürgen, die Ladies sind so ...
Und beim nächsten Mal bemühe ich mich wirklich ernsthaft, mehr Empörung in die Stimme zu legen ... ;-)

Trackback URL:
https://morgaine.twoday.net/stories/736126/modTrackback

Zufallsbild

TomThrasherToys2

Contact

Astrid Haarland M.A. Politologin - Soziale Kunst- und Ausstellungsmacherin - Commander/ISLA - a.haarland(at)googlemail.com - Choose safe communication ... ;-)

Suche

 

Comment History

Credits