Donnerstag, 1. September 2005

New Orleans und der Neoliberalismus?

Weiß nicht, was ich davon halten soll ... Bitte Fakten, Fakten, Fakten.
(Der Text spiegelt die Unlust der Bloggerin, diesen aus einer Mailingliste abgefischten Beitrag noch weiter zu formatieren oder zu korrigieren. Eventuell bestehende Ähnlichkeiten mit deutschen Verhältnissen sind natürlich nicht gewollt und rein zufällig.)

"Das Desaster, das der Hurrican hinterlassen hat, bezeichnet gleichzeitig das Ende der Zivilgesellschaft, das durch den Neoliberalismus herbeigefuehrt wird. Der Staat / das neoliberale System beendet seinen Anspruch / seine Verpflichtung als Gegenleistung fuer die Dominanz und die Besetzung der gesellschaftlichen Fuehrungspositionen fuer seine Buerger zu sorgen und etabliert sich zunehmend als Gewaltherrschaft. Der Erosion des staatlichen Budgets folgte der Zusammenbruch des notwendigen Hochwasserschutzes und damit der Untergang einer Metropole. Die Betroffenen reagieren nun teilweise mit
offenem Widerstand.

Mit dem Untergang von New Orleans und weiten Teilen der amerikanischen Golfkueste sind viele Amerikaner nun um die letzten Illusionen beraubt, der Staat / die Regierung waere bereit, sich zu ihrem Vorteil zu verhalten. Viele der in der Stadt Verbliebenen reagieren nun mit offener Rebellion und
Missachtung der gesellschaftlichen Regeln. Pluenderungen sind nun an der Tagsordnung, selbst die Praesenz der Polizei schreckt dabei nicht mehr ab.

Die Staatsautoritaet ist nun offensichtlich so weit in der Defensive
gegenueber der Respektlosigkeit ihrer Buerger, dass die Regierung Bush nun keinen anderen Weg mehr sieht, als die Situation mthilfe der Armee unter Kontrolle zu bringen. Nicht einige tausend oder zehntausend Soldaten sollen nun fuer die Kontrolle der Golfkueste eingesetzt werden, sondern gleich eine sechsstellige Zahl. DIe Brisanz der Situation zeigte sich u. a. ,
nachdem Bewohner von New Orleans nicht nur zur Selbsthilfe griffen, um sich in der bestehenden Katastrophensituation zu versorgen, sondern dazu gegenueber Journalisten erklaerten, die Geschaefte, in denen sie sich bedienten, waeren das Eigentum
aller Buerger. Andere, die nicht selbst in der Stadt eingeschlossen
waren, erklaerten, es sei eine Dummheit, die Stadt nicht zu verlassen: wer kein Auto besitze, solle sich ein Auto nehmen und auch ohne Geld sich an einer Tankstelle mit Benzin versorgen. Dies waren offenschtlich nicht mehr nur Einzelphaenomene sondern die Meinung breiter Bevoelkerungsschichten.
Es zeichnete sich damit in New Orleans der Rand einer Revolution ab, deren fruehzeitige Erstickung der Staatsmacht angezeigt schien und den Einsatz von 100. 000 US-Soldaten rechfertigt - in einer Situation, in der das Pentagon nur mit aeusserster Muehe die Sollstaerke der ueberstrapazierten Armee aufrechterhalten kann. Die Konsequenz koennte darin bestehen, dass Lousiana sich verwandelt in einer weitere Kolonie der USA, deren Bevoelkerung man wenn das angezeigt scheint - am ausgestreckten Arm verhungern laesst. Die Praxis der Verweigerung der erforderlichen Mittel fuer den ueberlebensnotwendigen Hochwasserschutz machte bisher schon kaum einen Unterschied zu einer solchen Perspektive. Die Medien werden uns nur wenig hierueber berichten, obwohl ein Sender wie CNN, der sich ansnsten in seiner Beichterstattung geriert, als waeren Bush und Cheney persoenlich seine Intendanten, aktuell erstaunlich offen ueber die Entwicklungen berichtet und der Neigung eines Sensationsjournalismus mit der Aufnahme von frischen Berichten der wenigen Reporter vor Ort anscheinend - zum Nachteil der Staatsraison - nicht widerstehen kann.
Gleichzeitig ist deshalb nicht anzunehmen, dass dafuer auch die
erschreckenden Luftaufnahmen gefaelscht wurden, die Zehntausende von Haeusern zeigen, die nicht selten bis zum Giebel unter Wasser stehen.
Wieviele ihrer Bewohner ums Leben kamen, werden wir von ihnen
wahrscheinlich dennoch nicht erfahren, auch wenn sie uns den Hinweis geben, dass zwar viele aus der Luft oder mit Booten gerettet werden konnten, dass aber auch haeufig Rettungsmassnahmen abgebrochen werden mussten, obwohl aus den Haeusern die Hilfeschreie der auf dem Dachstuhl Eingeschlossenen zu hoeren waren, waehrend das Wasser mit hoher Geschwindigkeit weiter stieg.
Laengst wurden auch von den Rettungskraeften treibende oder im Weg liegende Leichen nicht mehr in Verwahrung genommen oder bestattet sondern nur noch beiseite geschoben.
Kaum einer der vor Ort Beteiligten - inklusive des Buergermeisters Nagin selbst - , unterdrueckt noch die Verzweiflung ueber die aussichtslose Situation, waehrend uns unsere Medien noch zu erklaeren versuchen, dass es
sich um ein ganz normales Naturereignis handele, wenn eine grosse Stadt vollstaeendig untergeht. Nagin ist vermutlich am wenigsten ein Vorwurf fuer das Desaster zu machen: er hatte sich zusammen mit ueber 100 weiteren amerikanischen Staedten dazu entschlossen, das Kyoto-Protokoll zu
unterstuetzen und nach Moeglichkeit fuer Klimaschutz zu sorgen. Er ist mit vielen anderen Bewohnern der Stadt zur Geisel einer neoliberalen Politik geworden, die keine Verantwortung mehr kennt, sondern nur noch den Profit, der sich
realisieren laesst - ob aus dem alltaeglichen Lauf der Dinge oder aus einer Katastrophe, die eine ganze Metropole zum Untergang verurteilt das Hyatt-Hotel: glaslosShopping in New Orleans
Flucht aus den FlutgebietenDie Tatsache, dass der Hurrican "nur" mit Kategorie 3 bewertet wurde, als er die Kueste erreichte - wie von der ARD hoffnungsfroh berichtet - half den Bewohner dieses Appartmentblocks mit 100 Wohnugen wenig. Mindestens 30 von ihnen ueberlebten Katrina nicht. der Anstieg der Flut mit 30cm pro Stunde liess nicht immer genuegend Zeit fuer rechtzeitige Rettung."

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moccalover - 1. Sep, 14:09

Ich finde den Text ein wenig überzeichnet geraten, offenbar bedingt durch die polemische Wut der Autorin bzw. des Autors. Für mich ein bisschen zu stark in die Richtung "an allem ist sowieso der Feind XY schuld [Gerade Zutreffendes je nach Geschmack bitte einfüllen]". Der Neoliberalismus hat zwar nicht den Hurrikan erzeugt, aber alle Folgeprobleme wohl schon. Das ist mir zu einseitig, zu extrem, zu sehr von vornherein feststehend, dass es so sein muss. Aber es ist was dran, das kann man nicht leugnen, wenngleich der neoliberale Staat damit noch lange nicht am Ende ist.

Vom amerikanischen Staat lässt sich aber in der Tat nicht sehr viel Hilfe erwarten, er ist ja (ausser im bewaffneten Bereich) so schlank... Vielleicht ändert sich ja nun wenigstens etwas.

Plünderungen habe ich im TV gesehen, und es wurde erschreckend klar, wie schnell die Ordnung zusammenbrechen kann, wenn auf einmal nicht nur Einzelne, sondern viele die Regeln über den Haufen werfen, aus welchen Gründen auch immer. Die Berufung darauf, das Plünderungsgut sei alles Volksvermögen, ist wohl etwas billig. Wer verhungert oder verdurstet, soll plündern, um zu überleben, der braucht ein solches Argumentarium nicht, und alle anderen brauchen nicht zu plündern. Auch in einer nicht-neoliberalen oder gar sozialistischen Welt kann es zu Katastrophen und Mangellagen kommen, und dann griffe das Argument vom Volkseigentum ja auch nicht mehr.

Der Zusammenhang, auf den der Text aufmerksam macht, ist der Überlegung dennoch wert: In einem vollständig liberalen Staat müssen sich die Leute selber aus dem Schlamme ziehen, es hat ja eh zu viele davon.
Morgaine - 1. Sep, 14:48

Ich habe vorhin in den Text eingefügt, dass diese Verhältnisse nicht übertragbar sind auf andere Länder, man bemerke hoffentlich die Ironie des Satzes.
Wir erinnern uns alle der letzten Hochwasser, deren Fluten in beton-begradigten Flußbetten sich wieder einen anderen Wasserlauf bahnten und die in teures Bauland verwandelten Auenlandschaften in ein einzige schlammige Brühe verwandelten.
In der Tat, Naturkatastrophen passieren überall auf der Welt, unabhängig von der Art der herrschenden Systeme. Nur ist die Frage, welches wirklich eine Naturkatastrophe ist. Als Kind fuhr ich manchmal mit meinem Vater, einem Wasserexperten, zur Probenentnahme an den Rhein. (Nach unserem Umzug dann an die künstlichen Seen im Braunkohlentagebau ...) Man sprach damals von Wasserkatastrophen am Rhein mit ungeklärter Ursache, und ich erinnere mich gut an die Wut meines Vaters nach der Probenanalyse. Später wurde die Einleitung von Schadstoffen, eine Form von billiger Müllentsorgung, per Infrarot-Messung und anderen Methoden verhindert. Man ließ die Flüsse trotzdem nicht in Ruhe, begradigte ihren Lauf zur Gewinnung teuren Baulands, Föderalismus-Gerangel verhinderte die effektive Organisation von Rückstaubecken für den Fall der Überflutung.
Die Frage ist, wer sich auf wessen Kosten bereichert und damit anderen schadet. Wer Kosten externalisiert, um selber schnellen, unmittelbaren Profit zu maximieren und der Gemeinschaft die Folgekosten der durch diesen Raubbau entstandenen Schäden aufhalst.
Die Frage ist, ob ein ausreichend finanzierter Hochwasserschutz in New Orleans und anderen Küstenregionen vielen Menschen das Leben hätte retten können.
Die Frage ist, warum dieser Hochwasserschutz nicht organisiert wurde.
Und die Frage ist, wer mit welchen Mitteln in Zukunft dafür sorgen kann, dass diese lebensnotwendigen Massnahmen durchgeführt werden.
moccalover - 1. Sep, 15:21

Ja, die Ironie habe ich bemerkt!
Sie haben recht, Naturkatastrophen können ganz unterschiedlich schlimm ausfallen, je nachdem, auf welche menschlichen Prädispositionen sie treffen. Anders gesagt: Durch Unterlassung von Schutzmassnahmen oder durch gefährliches Bauen an Stellen, an denen nicht gebaut werden dürfte, wird das Naturereignis erst zur Katastrophe, das Desaster ist dem Ereignis nicht a priori inhärent.
Ihre Fragen treffen den Punkt. Allerdings glaube ich, dass wir uns alle zusammen auf Kosten der Umwelt bereichern (natürlich die einen mehr und aktiver und die anderen weniger und passiver). Niemand will aufs Autofahren verzichten, auch wenn dadurch vielleicht die Naturereignisse inskünftig vielleicht weniger heftig ausfallen würden. Umweltschutz wird nicht nur von den an der Umweltzerstörung am meisten Profitierenden für einen unnötigen, wachstumshemmenden Luxus gehalten, sondern von der breiten Masse (die ist womöglich beeinflusst, sicher aber korrumpiert durch private Bequemlichkeitszugewinne und Ersparnisse, wie sie aus umweltschädlichem Verhalten resultieren). Und das ist falsch, nicht nur ethisch, sondern vor allem wirtschaftlich. Es nützt auch den Bossen der Bosse nichts, wenn immer wieder solche Ereignisse auftreten wie momentan in den Südstaaten. Irgendwann ist die gesamte Volkswirtschaft so geschwächt, dass auch die am kurzfristigsten Denkenden und am raffgierigsten Handelnden keine Gewinne mehr erzielen. Und dann werden wieder mehr Leute begreifen, wie wichtig langfristiges Denken wäre.
Morgaine - 1. Sep, 15:41

"dass wir uns alle zusammen auf Kosten der Umwelt bereichern"?
Das glaube ich nicht. Vielmehr ist das Beispiel der Mülltrennung in Deutschland und dem Skandal um die Firma Trienekens oder "Der Grüne Punkt" ein Beispiel dafür, dass VerbraucherInnen ein wachsendes Bewusstsein für die Verantwortung jedes einzelnen entwickeln, von skrupellosen Geschäftspraktikern aber nach Strich und Faden verarscht werden.

Trotzdem:
Jeder handele nach dem Maß seiner Möglichkeiten und verantwortungsbewusst. Kann heißen: Häufiger auf das Auto verzichten. Das spricht nicht gegen die gelegentliche Lust auf Geschwindigkeit. Bio-Produkte mit sozialverträglicher Produktion kaufen. Wenn Produkte von transfair aus den Regalen genommen werden, nachfragen. Wenn das Geld knapp wird, geht man halt bei Aldi einkaufen. Die wiederrum haben jetzt Bio-Kartoffeln, weil die Nachfrage da war. Nach Produktionsbedingungen von Kleidung fragen.
Informieren. Informieren. Informieren, um gegen das Gefühl von Machtlosigkeit anzugehen, damit undurchsichtige Produktionsketten aufbrechen.
"Wir können leider nichts dafür, wir wissen auch nicht ...?"
"Dann muß ich meine Schuhe halt in einem anderen Laden kaufen."

Undsoweiter
moccalover - 1. Sep, 15:55

völlig einverstanden. Natürlich wird jeweils auch noch versucht, die rest-vorhandenen Umweltbemühungen der Menschen zu Profit zu machen und sie letztlich zu verraten und zu hintertreiben (Grüner Punkt). Aber das ist ja ein Beispiel, wo der Umweltschutz nicht wirklich weh tut, und darum trennen die Leute ja auch so brav Müll. In anderen Ländern geht nicht mal das über die Bequemlichkeit der Menschen.

Informieren ist sehr wichtig, und die Leute auf eigentlich offensichtliche Widersprüche aufmerksam machen, die sagen "Kinderarbeit ist schrecklich, die Verhältnisse in dem und dem Land sind schrecklich - - - also, einen Euro finde ich halt schon ein wenig viel für das Kilo Ananas ... mehr als fünfzig Euro mag ich nun einmal nicht ausgeben für den neuen Fernseher, da gehen wir doch lieber zum A.- oder L.-Supermarkt". Oder Leute, die nicht sehen wollen, wer ihre Sandwiches streicht und wer ihre Kotletts schneidet, die sich aber nerven ob den simplen Gemütern und dem schäbigen Auftritt, die solche Arbeit erzeugen kann. Jetzt bin ich aber vom Thema weggekommen, verzeihen Sie!
Morgaine - 1. Sep, 16:12

Ihr Argument des Widerspruchs zwischen Einkauf und eigenem Anspruch kann ich ja so gut nachvollziehen ...
Nicht immer ist die Masse hilfreich, edel und gut. Manche simplen Gemüter aus der Masse der Sandwich-Beleger sind simpel aus Bequemlichkeit. Aus Angst. Oder, weil es keine andere Chance der Sozialisation gab. Simples Denken ist monokausales Denken. Rattenfänger benutzen monokausales Denken und manch' simpler Denker bleibt in den Netzen der Rattenfänger hängen. So wird aus dem simplen Denken schnell der Füllstoff für braune Blendwerke. Manchmal gab es vielleicht auch keine Mutter, die der intelligenten und deswegen ungemein faulen Tochter mit dem Billiglohn-Job bei Sandwich-Belegern droht, von dem noch nicht mal das Pferdefutter, geschweige denn das Pferd bezahlt werden kann. Und zu guter Letzt: Armut ist keine Ausrede für schlechten Geschmack. Statt der knackig engen Billigjeans mit Blick bis in die Spalte kann man auch billige Hosen mit mehr Stoff kaufen ...
moccalover - 1. Sep, 16:28

Ich wollte ja auch keine Lanze für die Masse brechen, Sie haben ganz recht. Es ging nur darum, dass viele nicht bedenken, wie viel Handarbeit in den täglich gekauften Produkten steckt. Und das funktioniert eben nur, wenn die Handarbeit schlecht (sehr schlecht) bezahlt ist, ansonsten könnte ich mir nicht mit einem halben Stundenlohn hundert handbemalte Keramiktöpfe kaufen. Und ein Kindermädchen kann ich mir auch nur leisten, wenn ich sie um ein Vielfaches weniger bezahle, als ich es selber bin. Usw.

Die knackengen Miss-60-Jeans sind ja nicht nur aus sehr wenig Stoff, sondern auch noch scheissteuer! Betrifft mich zum Glück nicht, ich kann als Mann weite Kleider tragen, ohne aufzufallen :-)
Morgaine - 1. Sep, 17:10

Wenig Stoff und scheissteuer ist mein Lieblingsthema bei Schuhen. Dekorierte Badeschlappen für 170 Euro sorgen bei mir jedes Mal für einen Wutanfall vor dem Schaufenster. Weniger Stoff wäre nur noch nackter Fuß. Den Ladies den Wunsch nach diesen Dingern nahe zu bringen, die größtmöglichen Profit erwirtschaften, das ist Kapitalismus in Reinform.

Sie wecken gerade meine Neugier: Wie weit sind denn die Kleider, die Sie tragen? So weit wie die jetzigen von Herrn Ratzinger? ;-)
kinomu - 1. Sep, 17:41

Warum ärgern Sie "Dekorierte Badeschlappen für 170 Euro"? Wenn ich so etwas sehe (und nicht das Bedürfnis verspüre, es zu kaufen) freue ich mich darüber, weil bei Erzeugung, Transport und Entsorgung dieses einen Paars Badeschlappen viel weniger Ressourcen verbraucht werden als bei anderen 170-Euro-Produkten, sei es eine Stereoanlage, eine Plastik-Gartensessel-Garnitur oder ein Billigflug.

"Dingern ... die größtmöglichen Profit erwirtschaften"
170 Euro-Badeschlappen werden typischerweise in Geschäften verkauft, deren Ausstattung und Miete die Kosten einer Deichmann- oder Aldifiliale (pro Quadratmeter) bei weitem übersteigen. Oft sind bei der Errichtung Innenarchitekten und Tischler beschäftigt, die nur für diese eine Filiale arbeiten (im Gegensatz zu industriell gefertigten Aldifilialen erfordert das besser ausgebildete Handwerker und mehr Arbeitsstunden), meistens gibt es viele Verkäufer und wenige bis keine Kunden - die Kosten pro verkauftem Schuh übersteigen die von Aldi um ein vielfaches.
(Liesse sich mit dem Verkauf von 170-Euro-Badeschlappen viel verdienen, gäbe es mehr 170-Euro-Badeschlappen-Geschäfte, denn die Einstiegshürden in diesen Markt sind nicht sehr hoch.)
Morgaine - 1. Sep, 23:59

Da ist einiges an netter Argumentation aus der Schatzkiste des Triple-Down-Effekts in Ihrem Beitrag. Der Preis für ein Produkt sagt nichts aus über die Produktion. Ob der Schuh also in einem deutschen, englischen oder ungarischen Handwerksbetrieb mit Tariflöhnen gefertigt wurde oder in einem der rings um den Erdball florierenden Sweat-Shops, kann nicht am Preis erkannt werden. Viele Markenhersteller machen ja gerade riesige Gewinne durch extrem niedrige Kosten bei Löhnen und Produktion in den Billiglohnzonen. An den Gewinnen aus der Badelatschenproduktion der Nobelmarke Ceflutti erfreuen sich Aktionäre, Manager und Vorstand. Sonst niemand.
Ob im Nobel-Schuhladen unter dem Verkaufspersonal bessere Arbeitsbedingungen herrschen als bei Aldi, kann so pauschal nicht gesagt werden. Das Lohnniveau liegt nach meiner Kenntnis bei Aldi im mittleren Bereich. Von Schuhen einmal abgesehen, kann von der Kleidung in Nobel-Boutiquen nicht auf das Einkommen der Verkäuferinnen geschlossen werden, da die Mitarbeiterinnnen die Waren in vielen Läden tragen dürfen/sollen und diese dann als Neuware wieder ins Regal zurücklegen.

Das Argument der Innenarchitekten und Tischler finde ich stimmig und kann dem nichts entgegensetzen.

Das Angebot von 170-Euro-Badelatschen in Köln IST groß, wie ich Ihnen leider aus eigener Anschauung in diesem Sommer sagen kann. Es muß wohl doch ein gutes Geschäft sein.
kinomu - 2. Sep, 07:18

Von einem "Triple-Down-Effekt" habe ich noch nie gehört, sehr wohl aber vom "Trickle-Down-Effekt", der das Phänomen Mode erklären soll: die von Mächtigsten (oder in Sachen Mode Einflussreichen, das waren zB manche Kurtisanen französischer Könige) getragene Kleidung wurde von den Nächsthöheren imitiert, diese wieder von den ihnen Untergebenen etc., während die Obersten sich, um sich abzugrenzen, schon wieder anders kleideten. Mode als Versuch, höhere soziale Stellung zu demonstrieren/vorzutäuschen. Heute kann mit dem Trickle-Down-Effekt zwar noch manches erklärt werden, aber die einstige Bedeutung hat er verloren, über die Gründe dafür möchte ich mich hier nicht auslassen. Aber welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen dem "Trickle-Down-Effekt" und meinem vorigen Posting?

"Der Preis für ein Produkt sagt nichts aus über die Produktion."
Indirekt schon: sehr günstige Schuhe wurden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in China (usw.) gefertigt, teure, in geringer Menge hergestellte Schuhe europäischer Designer stammen häufig aus Italien. (Ich denke hier zb an Costume National.)
Markenprodukte wie die von Ihnen erwähnten Badelatschen, die in hoher Anzahl verkauft werden, stammen oft aus Niedriglohnländern, im mittleren Preissegment gibt es aber auch (noch) europäische Produkte.

In Österreich verdienen Aldi-Angestellte deutlich mehr pro Stunde als ihre Branchenkollegen, der Arbeitseinsatz ist aber auch viel höher. (Nach dem Motto 30% mehr verdienen, 60% mehr arbeiten...)
Mit den Angestellten in Boutiquen haben sie nicht viel gemein: die einen müssen den ganzen Tag in sehr hohem Tempo manuell arbeiten (schwere Pakete schleppen, Kartons zerlegen...), die anderen müssen gut aussehen, benötigen (in einer Tourismusstadt wie Wien) Fremdsprachenkenntnisse und ein gewisses Talent im Umgang mit Kunden, denn Menschen, die teure Produkte kaufen, tun das viel eher, wenn sie sich wohlfühlen. Hohes Tempo wäre hier nur kontraproduktiv (da rasche Bewegungen bedrohlich wirken und nervös machen): der Einkauf ist nicht lästige Pflicht, sondern Genuss, der ausgekostet werden will. Und die Verkäufer haben oft Zeit ohne Kunden.

Die Probleme der Kölner mit den Schuhgeschäften finde ich schon amüsant. ;-)
Morgaine - 2. Sep, 16:42

Reizend, Herr Kinomu, dass Sie sich so viel Mühe machen und auf den Trickle-Down-Effekt hinweisen. Ich ahnte es bereits gestern nacht im Bett, als ich noch einmal aufstehen wollte, um diesen Fehler zu korrigieren. Ich bin liegengeblieben, weil Herr Kinomu ja bestimmt ... ;-) So schlief Schneewittchen denn ein und träumte von den Bergen und den sieben Zwergen ...
Schade nur, dass ich vorhin trotz intensiver Suche in meinem Blog nicht mehr die Verlinkung auf den Wikipedia-Artikel zum Stichwort "Trickle-Down-Effekt" fand, den ich vor einigen Wochen veröffentlicht hatte.

Ich habe heute irgendwie gaaaar keine Lust, nach Markenproduktion in den EPZ oder billiger Kinderarbeit und teuren Seidenteppichen in den Einkaufsluxusmeilen zu googeln oder den Trickle-Down-Effekt anhand der Mode-Industrie zu erklären ... ;-) Wie wäre es stattdessen mit einem netten kleinen Beitrag zum Thema Marken shoppen oder nackt gehen?
http://fm4.orf.at/rotifer/47867/main?tmp=7599
kinomu - 3. Sep, 21:27

Wie gut, dass Wikipedia-Artikel auch dann leicht auffindbar bleiben, wenn man den Link nicht findet... an den Trickle-Down-Effekt in der Ökonomie hatte ich gar nicht gedacht, wahrscheinlich, weil ich den Begriff zuerst in der Modesoziologie kennengelernt habe und er, wie man aus dem Wikipedia-Artikel schliessen kann, von politischen Akteuren beider Seiten stark missbraucht wird. Die Wahrheit liegt, wie so oft, dazwischen:
Der Wohlstand sickert nur bis zu denen durch, deren Arbeitskraft marktgängig ist. Klar. Und zu denen, die etwas anbieten, das viele andere auch anbieten, das aber nicht stark nachgefragt wird, sickert wenig*, zu denen, die etwas anbieten, das wenige haben, aber viele dringend brauchen, sickert mehr. Auch klar.

*Hier von Wohlstand zu sprechen wäre zynisch.
moccalover - 2. Sep, 08:31

Gestern lief wegen NumLockpanne nichts mehr, darum verspätet jetzt:
@kinomu: Sie beleuchten einen anderen Aspekt und haben von mir aus gesehn doch genauso recht. Luxusartikel ermöglichen natürlich mehr anständig bezahlte Hand- und Feinarbeit. Ich glaube, Frau Morgaine ärgert sich einfach über die Tatsache, dass die Leute so teure Schlappen ja meist aus dem Grund kaufen, weil der Laden oder die Marke eben gerade hip ist, und nicht, weil Sie damit Handwerk unterstützen wollen. Und dieser Punkt leuchtet mir auch ein, es hat etwas zum Fürchten, wenn eine Marke so viel Mystik und - mit Verlaub - Spiritualität auf sich zu laden vermag.

@morgaine: Ich trage keine ausgefallenen Dinger, da muss ich Ihre Sensationslust enttäuschen :-) So schick wie der Herr Ratzinger wäre ich natürlich gerne auch, aber das bringt mein Kleiderschrank nicht. Ich mag Hosen, die mir ein gutes Stück Platz lassen ums Becken herum, also weite Cord-Jeans oder Anzughosen. T-Shirts trage ich aus Eitelkeit schon mal enge, aber zuhause am liebsten schlabbrige. Und Pullis immer weit, sofern sie mir nicht eingehen.
Wieder on topic: Gerade heute morgen habe ich gelesen, die Dammbaugelder in New Orleans seien zugunsten des Irak-Wiederaufbaus und des Heimatschutzes zusammengestrichen worden. Viele plündern aus Hunger, auch viele plündern Elektronik, Medikamente oder Waffen und Munition. Da sind noch weitere Dämme gebrochen.
Morgaine - 2. Sep, 16:57

In der Tat, das Rudelverhalten ... Das Ergebnis meines Ärgers über den männlichen und weiblichen Herdentrieb schlägt sich in den selbst formulierten Sinn-Sprüchen meiner 12jährigen Tochter wie folgt nieder: "Wie kann jemand normal sein, wenn alle anders sind?" ... Hach ja, ich bin ja sooooo stolz auf sie.

Eine Frage habe ich: Könnten Sie mir bitte mal Ihre Definition von Mystik und Spiritualität sagen?

So so! Sie tragen also oben herum gerne eng. Wenn Sie wegen Ihrer Oberweite gelobt werden wollen, dürfen Sie auch gerne ein Foto von sich hier ins Blog stellen ;-)
moccalover - 5. Sep, 15:05

Ach, Frau Morgaine, Sie überschätzen, glaube ich, meine Oberweite oder zumindest meine Wertschätzung derselben masslos... :-)

Ich habe beim Schreiben nicht an exakte Definitionen der beiden Begriffe Mystik und Spiritualität gedacht. Sie kennen mich soweit - ich entreisse Ausdrücke gerne ihrem Zusammenhang und füge sie in einen neuen ein. Ich denke da an unsere kurze Diskussion über "koscher" und hoffe, dass solches Sie nicht stört. Sonst werde ich es seinlassen.

Ich bin nicht in der Lage, Ihnen "korrekte" Definitionen der verwendeten Begriffe abzugeben, glaube indes auch nicht an die Korrektheit von Begriffsbestimmungen. Soweit es aber bloss um Ihr Verständnis meiner Ausführungen geht: Als ich den Kommenatar schrieb, meinte ich mit der Mystik und Spiritualität der Marken(-artikel) die schlichte Tatsache, dass diese subjektiv empfundene Bedeutungen auf sich laden, die rational weder erklärt werden können noch aus Sicht der Markenkonsumenten überhaupt erklärt werden sollen. Wo Produkte nicht mehr in erster Linie ihres Nutzwertes, sondern vorab ihres Scheines, ihres Glanzes, ihrer Aura wegen gekauft werden, kann ich mir das nur mit einer durch Werbung, Marken und Peergroup erzeugten "Mystik" erklären. Wer die Marke identitätsstiftend empfindet und verwendet, der ist meist wohl nicht besonders religiös im klassischen Sinne, sondern sucht sich den ausfüllenden Lebenssinn eben anderswo. Stile und Marken werden zum inhaltslosen Inhalt von Persönlichkeiten.
Morgaine - 5. Sep, 18:07

Das gilt nicht: Erst das enge T-Shirt erwähnen und dann die Oberweite für unwichtig erklären. Ich suche mir jetzt die Interpretation heraus, die mir am besten gefällt ... ;-)

Ihre These lautet, dass religiöse Menschen weniger markenanfällig sind, weil sie die identitätsstiftenden Merkmale einer Markenaura nicht benötigen? Ich stimme Ihnen bedingt zu. Was ist ein religiöser Mensch im klassischen Sinne? Meinen Sie damit, dass Religion im nichtklassischen Sinne genauso als Marke betrachtet werden kann, deren Inhalte lediglich als Zugehörigkeitsmerkmal zu einer Peergroup konsumiert werden? Es gibt in der Sektenliteratur genügend Beispiele des Religionshoppings: Heute Christ, morgen Buddhist, übermorgen Islamist. Verzeihung, das war jetzt nur ein Scherz. Aber Sinnsuche kann genauso konsumiert werden wie eine Marke und eine Persönlichkeit aufladen mit äußeren Erscheinungsmerkmalen, die bei nächstbester Gelegenheit dann ausgewechselt wird wie das eigene Marken-T-Shirt. Es ist gerade beispielsweise sehr chic, Buddhist zu sein. Was kommt dann nach der Marke Buddhismus? Vielleicht wieder ein bisschen christlicher Fundamentalismus für härtere Zeiten, in denen der Rahmen halt etwas fester sein sollte? Ich fürchte, derartige Mystik korreliert wahrscheinlich eher positiv mit Markenbewusstsein.
moccalover - 5. Sep, 20:42

Ja, das ist meine These (ich habe allerdings ad hoc formuliert; Blogs eignen sich gut zur Entwicklung von Gedanken). Damit möchte ich aber nicht sagen, dass Marken gleich eine ganze Religion zu ersetzen vermögen, da haben Sie schon Recht. Marken ersetzen einfach das Bedürfnis nach alltäglicher Mystik, nach der Bedeutung hinter den Dingen. Nicht die grossen Fragen nach Leben und Tod, welche von der Religion zwar, nicht aber von den Marken abgedeckt werden. Ich denke, dass es keinen rationalen Grund gibt, religiös zu sein, und gleichzeitig ist diese Welt – ausschliesslich rational betrachtet - natürlich unglaublich öd und äusserst hart zu ertragen. So suchen wir Menschen auch als "Atheisten" nach Bedeutungszusammenhängen, die man nur mit "Glauben" beschreiben kann. Wir brauchen einfach ein Weltbild, das aus mehr besteht als aus dem unmittelbar Wahrnehmbaren. Wir brauchen den Schimmer des Wichtigen auf den Dingen, wir brauchen die Sicherheit, dass nichts beliebig und möglichst alles so ist, wie es sein muss.

Marken vermitteln Zugehörigkeit, Identität und – so absurd das klingen mag – Individualität und Sinn. Sie stehen für einen gewissen „Style“, der wiederum als Lebensphilosophie erlebt wird. Alles meist sehr leer, sehr künstlich, jedenfalls in meinen Augen. Und viele soziale Beziehungssysteme – von den Prolovorstadtkids bis zu den bestbezahlten Anwälten der Innenstadt – kennen Marken bzw. Markenprodukte als Medium der Kommunikation, des Vergleichs und der Identifikation. Ähnlich fungieren auch z.B. kulinarische Vorlieben von Bildungsbürgern: Die immerwährende Frage nach dem letztgültigen Olivenöl, nach dem defintiven Rosso… Sie können die Liste – auch unter Zuhilfenahme von Blogs über teure Sandalen [fiktiv] – beliebig fortsetzen. Alles letztlich Überhöhungen der Materie, die frühere Symbole ablösen.

Also, das Markensystem ist keine Religion, aber es ersetzt in einem beschränkten Ausmass die Heiligkeit und Mystik der Dinge, wie wir sie beispielsweise im Pantheismus antreffen können. Das System impliziert eine Märchenwelt, in der täglich glücklich konsumiert wird. So ersetzt es manche der Bedürfnisbefriedigungen, die früher von der Religiosität und dem durch sie erzeugten Gesamtweltbild bereitgestellt wurden.

Und ja, heute ist die Freiheit - und mit ihr die Qual - der Wahl so gross, dass man sich letztlich durch das ganze Religions- und Glaubenspanorama durchprobieren muss, immer Ausblick haltend nach dem vielleicht doch noch wahreren Glauben. Religionen von fernab finde ich erkenntnistheoretisch und –praktisch äusserst spannend, ohne viel darüber zu wissen. Aber sie in unsere Welt zu verpflanzen ist entweder opportunistische Synthese oder geht so schief wie die Verpflanzung der meisten südasiatischen Pflanzen auf hiesigen Feldern. Und das ist nicht bloss örtlich, sondern so zu verstehen, dass es sich dabei häufig um nichtreformierte tausendjährige Dogmen handelt [Entschuldigung]. Und in der Tat wird die gerade in Mode befindliche Glaubens-Strömung auch zum Identifikations- und Distinktionskriterium. Keeping up with the Joneses - die machen jetzt so-und-so-Meditation.

Ach ja, das T-Shirt. Denken Sie ruhig, was Sie gerade mögen, ich habe nicht wirklich eine Ahnung davon, ehrlich gesagt, was das ist... es sei denn eine nicht so günstige, da ich beim Wiederlesen des Steins des Anstosses erschrocken das Wort "Eitelkeit" wiedererkannte. Sie haben mir, und dafür wollte ich mich noch bedanken, durch diese Diskussion dazu verholfen, erstmals in meinem Leben von meiner "Oberweite" zu sprechen. Ich sollte als Mann wirklich selbstbewusster werden... :-)

[Edit: Link gesetzt und Schreibweise berichtigt.]
Morgaine - 6. Sep, 12:18

Die atheistische "Religion" sucht also Ihren Worten nach die Bedeutungen ebenfalls hinter dem Wahrnehmbaren? Sie überschneidet sich damit mit den christlichen Vorstellungen vom Suchen nach einem wie auch immer wahrnehmbaren Gott hinter den Dingen, von dem es gilt, seine Aufmerksamkeit, seine Erklärung und sein Lob zu erhalten. Ein recht kindliches und gleichzeitig paternalistisches Gottesbild, wie ich finde. So übernimmt denn eine kontrollierende, belohnende und strafende Instanz im vermeintlichen Himmel und auf Erden die Funktion eines Über-Ich, dem man selber zu wenig traut, um sich alleine auf das eigene Gewissen zu verlassen.

Menschen in Organisationen mit festen Hierarchien besitzen häufig dieses mangelnde Vertrauen in das eigene Gewissen, während dem Gewissen zuwider laufende Aufträge, Richtlinien, Befehle verinnerlicht werden als Verpflichtung dieser äußeren Gewissensinstanz gegenüber, dieser unbedingte Gehorsam dann aber zu Spaltungen in der Persönlichkeit führen kann, wie wir beispielsweise bei den Ausführenden der NS-Maschinerie sehen konnten. Heydrich ist solch ein Beispiel. Manchmal wird dieser Kampf mit Hilfe eines organisierten Gewissens auch geführt im vermeintlichen Glauben des unbedingten Sieg eines Rationalismus über die Magie. Ein Kampf, der schon einmal Weimar neben Buchenwald ermöglichte.

Was also kann Mystik? Ist der Rationalismus und seine Streiter dabei, die Magie zu besiegen? Ein Zitat aus einem meiner vorigen Postings:

"Ich weiß es nicht, kann ihnen nicht sagen, ob die Magie vom Rationalismus besiegt wurde. Wie kann etwas von etwas besiegt werden, dass ihm immanent ist? Sucht mich nicht und lebt eure Zeit. In Demut wirken, das Schöpferische ehren, die Zerstörung begrenzen."

Ihre Oberweite? Nun, warum sollten Sie diese hier nicht erwähnen? Ich kann diesen kleinen Anfall von Eitelkeit durchaus verstehen. Vielleicht werfen Sie einen Blick auf dieses sehr sehenswerte Format. Man sollte sich um der eigenen Leistungssteigerung willen immer an den nicht erreichbaren Vorbilder orientieren.
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,373120,00.html

Und nun dürfen Sie hier selbstverständlich auch ein eher weiblich anmutendes Foto posten, denn nicht jeder mag es schließlich klein, knackig und rund ... ;-)
moccalover - 6. Sep, 15:18

Mystik füllt die Lücken im Denken, die das unmittelbar Wahrnehmbare und die Rationalität nicht zu füllen vermögen. Sie verhindert bzw. stoppt den infiniten Denkregress, der durch die Rationalität zwangsläufig erschaffen wird.

Mehr Zeit habe ich gerade leider nicht. Aber: Der Assoziation zwischen Oberweite und Ray Nagin kann ich nun beim besten Willen nicht folgen, helfen Sie mir. Und das Bild, das müsste erst noch gemacht werden.
Morgaine - 6. Sep, 17:47

Sie instrumentalisieren Mystik damit als ein Mittel des Unterbewusstseins und eine dem Menschen immanente Struktur. Ich sage, dass wir nicht wissen können, ob es nur immanente oder nicht auch noch außerhalb des Menschen liegende Systeme und Strukturen gibt. Ich suche diese Möglichkeit nicht, sondern versuche so handeln, dass sie nicht ausgeschlossen wird.

Ray Nagin scheint ein verantwortungsvoll handelnder Mann mit sehr viel Mitgefühl und Stärke zu sein. Der Charakter spiegelt sich im Erscheinungsbild eines Menschen.
moccalover - 6. Sep, 20:15

Oh ja, Herr Nagin ist sehr beeindruckend! Wenigstens soviel Demokratie scheint da vorhanden zu sein, dass einer wie er Bürgermeister wird. Und nun, wenn ich Sie richtig verstehe, schliessen Sie aus seinem gesunden, sportlichen und lebendigen Aussehen auf seinen Charakter? Das tue ich ständig auch bei Menschen, das kann man, glaube ich, gar nicht verhindern. Und das Erscheinungsbild sagt tatsächlich viel, es kommt nur darauf an, dass man nicht zu einfache Prämissen (schwarz gleich dumm) verwendet. Und dass man sich immer bewusst ist, dass es sich um ein heuristisches Instrument mit zu korrigierendem Resultat handelt bei der Beurteilung des Äusseren. (An den Sherlock-Holmes-Krimis meiner Kindheit mochte ich am meisten, dass der Typ aus der Art der Hände, aus der Kleidung und aus der Körperhaltung der Menschen immer schon so viel herauslesen konnte.)

[Wenn Sie versuchen, so zu handeln, dass die dem Menschen nicht immanenten Systeme und Strukturen dadurch nicht gedanklich ausgeschlossen werden, dann erinnert mich das natürlich, mit Verlaub und ohne jede Wertung, an die Römer, von denen erzählt wird, dass sie allen Göttern zugleich huldigten, weil sie nicht wissen konnten, welcher von ihnen wirklich existierte.]

Ich bin fasziniert, wie Sie meine Theorie zusammenfassen; ja, so ist es, ich hätte es nur nicht so konzis zustandegebracht. Doch das nicht dem Menschen Immanente, das Sie ansprechen, das will ich damit nicht ausschliessen, beileibe nicht. Ich glaube aber auch nicht, dass das durch meine These zwingend ausgeschlossen wird.

Ich fühle mich als in die Welt geworfener Mensch, der aufgrund der Komplexität des menschlichen Gehirnes Probleme aufwirft, die er nicht lösen kann. Man kann diese Probleme zu lösen versuchen, man kann Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit, ja das richtige Leben an sich suchen – und das tue ich auch. Aber als letztlich menschlichen Produkten stehe ich den Ideen, die zu diesem Zweck dargeboten werden, grundsätzlich skeptisch gegenüber, denn ich halte diese Fragen für vom Grundsatz her unlösbar. Von Menschen erdachte menschliche Probleme. Und so betrachte ich Religion primär, keineswegs aber ausschliesslich, als Denksystem der Menschen.

Das heisst nicht, dass ich mich deswegen nicht für Ideale einsetzen würde, im Gegenteil. Aber ich suche für diese nur rationale oder emotionale Begründungen. Ich versuche, die Subjektivität des Menschen zu berücksichtigen, des Menschen, der eigentlich im Dunkeln tappt, der die „Wahrheit“ nicht kennt und nie, nie kennen wird. Darum konzentriere ich mich in meinem Interesse primär auf den Menschen, und ich frage mich, was ihm der Glaube einbringt, was er von ihm fordert, und ob er ohne ihn sein könnte.

Ich kann gar nicht und will auch nicht ausschliessen, dass ausserhalb meiner Subjektivität Dinge existieren, die mein Denkvermögen übersteigen, dass Dinge existieren, die über mir stehen, vor mir waren und nach mir sein werden. Natürlich kann alles, so, wie es ist, oder eben in Wahrheit ganz anders, von einer Gottheit erschaffen/beherrscht sein. Ich kann keine Religion, keinen Glauben und keine Mystik widerlegen, und das wäre auch überhaupt nicht mein Ziel. Der Bezug auf die Subjektivität soll keine Hybris, sondern im Gegenteil Demut sein. Ich kann auch nicht (möchte aber) ausschliessen, dass alles ganz anders ist, als ich es mir hier denke, und dass ich einen Fehler begehe, falsch lebe und gar sündige, indem ich so denke und zu handeln versuche.

Meine Haltung ist aus religiöser Sicht verfehlt, weil sie die Existenz des Gottes und die Folgen dieser Logik einfach ignoriert. Natürlich könnte ich mich einem Buch anvertrauen, das die Wahrheit sagt. Für mich bliebe es die Wahrheit dieses Buches, und nichts mehr. Ich interessiere mich nun mal in erster Linie für das Funktionieren des Menschen und der Menschen so, wie wir sie wahrnehmen können, und höchstens an zweiter Stelle für Dinge, die weit ausserhalb dieser Welt liegen. Wenn ich nicht alles erklären kann, dann weiss ich, dass ich da an der Natur der Dinge an und für sich leide. Es macht mir nichts aus, und ich habe momentan keinen Drang dazu, alles erklären zu können.

Ich verteidige mich hier ja nota bene nicht gegen Sie, so habe ich Sie ja nicht verstanden. Ich komme nur nicht darum herum, bei solchen Themen etwas auszuholen. Und Sie kommentieren mich zwar interessant, beziehen aber noch nicht sehr genau Stellung dazu, das verunsichert mich ein wenig. Darum die Länge und das Gerede … Amaretto gefällig?
Morgaine - 7. Sep, 15:00

Dass ist wirklich nicht sehr nett, Herr Moccalover, mir zu unterstellen, ich käme nicht auf den Punkt. Das tue ich nur dann nicht, wenn jemand anders vorher den Punkt nicht findet ... womit ich jetzt natürlich nicht Sie gemeint habe.

Sie verstehen mich falsch, wenn Sie mir unterstellen, ich schlösse vom Aussehen auf den Charakter. Vielmehr sprach ich davon, dass sich Charakter im Aussehen spiegele, *nachdem* ich tagelang Herrn Nagin in der Presse verfolgte. Dass er in seiner politischen Karriere zwischen Republikanern und Demokraten zu springen scheint, interessiert mich nicht.
http://en.wikipedia.org/wiki/Ray_Nagin

Ihre Römertheorie versagt an dieser Stelle, was Ihnen eigentlich nach der Lektüre meiner Kommentare hätte auffallen müssen. Ich huldige weder Politikern noch Göttern, da ich in einer Art Größenfantasie davon überzeugt bin, dass in jedem Menschen ein göttlicher Funke weilt, der im Interesse des Ganzen/des Systems/der Schöpfung gehütet und vorsichtig zum Brennen gebracht werden sollte. Wer jedoch bei anderen zu viel sucht, wird diesen Funken bei sich selbst nie entdecken können.

Sucht mich nicht und lebt eure Zeit.
In Demut wirken, das Schöpferische ehren, die Zerstörung begrenzen.

Sie sprechen davon, dass aus religiöser Sicht Ihre Haltung verfehlt ist, doch trifft dieses nur auf ein monotheistisches Gottesbild zu, dass das Göttliche außerhalb den Dingen sucht. Es gibt noch eine andere Form von Spiritualität. Diese verdeutlicht sich in den beiden oben genannten Sätzen.
Unsere beiden Haltungen treffen sich in der Nichtsuche nach der Wahrheit, die auch ich nicht hinter den Dingen suche, indem ich letztgültige Eklärungen verlange. Das Göttliche ist den Dingen immanent. Die letztgültige Frage nach dem Warum übersteigt die Fähigkeiten des Verstandes, zeugt von einer Überschätzung des Menschlichen und lenkt lediglich ab vom (göttlich inspirierten) Handeln im oben genannten Sinne.
moccalover - 7. Sep, 17:01

Nein, ich wollte weder unhöflich sein noch Ihnen unterstellen, Sie kämen nicht zum Punkt. Ich sprach nur die Empfindung aus, dass Sie vorab mit kritischen und berechtigten Fragen mir auf den Zahn fühlen und mit Ihrer Meinung noch etwas zurückhalten (dagegen hatte ich im Übrigen überhaupt nichts). War dem nicht so, liegt's an mir, da ich diesfalls Ihre Kommentare tatsächlich zu wenig aufmerksam las. Wenn ich das jetzt nochmal tue, sehe ich keinen Grund mehr für meine vorherige Äusserungen. Nehmen Sie's also als Ausdruck meiner Unsicherheit, und überhaupt nicht gegen Sie!

Ebensowenig wollte ich sagen, dass ich Sie mit den Römern vergleichen oder gar gleichsetze; mir war und ist wohl bewusst, dass Sie weder griechischen, noch römischen, germanischen, christlichen oder islamischen Gottheiten huldigen. Es ging mir nur darum, dass mir das agnostische Element in dieser (angeblichen) Haltung der Römer eigentlich gefällt und dass ich etwas Ähnliches bei Ihnen zu entdecken glaubte, als Sie sagten, Sie versuchten so zu handeln, dass Sie die Existenz externer Gottheiten nicht ausschliessen.

"In Demut wirken, das Schöpferische ehren, die Zerstörung begrenzen" - das werde ich mir hinter die Ohren schreiben, das ist sehr gut ausgedrückt.

Und ich sehe mit Freude auch Übereinstimmungen in unseren Haltungen.

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