Freitag, 9. September 2005

Wieso - Weshalb - Warum

Kommentare zu: Musizieren statt Beten? Musik schützt vor Menschenverachtung nicht. Heydrich beispielsweise soll ein guter Geiger gewesen sein.

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kinomu - 4. Sep, 21:18

Erinnert mich an einen Vortrag von George Steiner ("Das Cordelia-Paradox").

(Bei denen wird er nicht ganz zurecht lobend erwähnt. ... Freiheit liebender Sprachwissenschaftler, der Anti-Chomsky sozusagen. spricht für sich.)
Morgaine - 5. Sep, 01:34

Herr Kinomu, vielleicht können Sie verstehen, dass ich heute dazu nichts mehr sagen kann. Ich hoffte immer, dass sich die "Bilder" in meinem Kopf wieder verflüchtigen. Stattdessen bekommen die Bilder immer mehr Konturen.
kinomu - 5. Sep, 03:02

Ich hoffe, es stört nicht, wenn ich noch etwas zu meinem vorigen Posting sage: der Vortrag wurde von der SPÖ und vom IWM organisiert, George Steiner erhielt von Joschka Fischer eine Auszeichnung, seine Vorlesung war toll... da liegt der Verdacht nahe, dass jemand eher ein falsches Bild von Noam Chomsky hat, als dass G. S. tatsächlich als "Anti-Chomsky" zu betrachten wäre. Denn mir ist weder bekannt, dass N.C. "den Westen, seine Kultur und seine Freiheit" hassen würde - Teile der Kultur, vor allem der Politik und der Wirtschaft, der Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Medien mag er sicher nicht besonders, Freiheit hingegen sehr. So etwas zu schreiben zeigt Ahnungslosigkeit oder üble Absicht, aber es ist keine Neuigkeit, dass manche eine ausgeprägte Chomsky-Aversion haben. (Ich habe "Errata" nicht gelesen.)

Frau Morgaine, danke für das Stöckchen. Verstehen könnte ich nur dann, wenn ich wüsste, ob Sie vielleicht müde sind, gerade etwas besseres vorhaben, unter Migräne leiden, nochmals darüber schlafen wollen oder wasauchimmer - wenn ich Gedanken lesen (oder aufgrund dessen, was ich wahrnehme, darauf schliessen) könnte. Bei meinen Fähigkeiten und meinem Wissensstand ist das, wie so vieles, nicht möglich.
Es wird zu oft "Verstehen" gefordert, wo es unmöglich ist (und ich meine, dass es (fast) immer mehr oder weniger unmöglich ist), wo es reichen würde, Gegebenheiten ohne verärgert zu sein zur Kenntnis zu nehmen und andere Menschen zu respektieren, vielleicht sogar zu mögen. Bei den Cyborg-Fantasien geht es um ein ähnliches Thema... "Urteil" lässt mich aber zu sehr an Gerichtsverfahren, "beurteilen" an die Schule denken, unangenehme Assoziationen.

Warum diese Ikonophobie? Mit Bildern, die nur im Kopf sind, kann niemand anders etwas anstellen. (Meinen Sie auch, man sollte das den scheuen Heimatfreunden mal sagen ?) ;-)
Morgaine - 5. Sep, 18:40

Schade, ich hätte den "Cordelia-Komplex" gerne gelesen. Ich verstehe diese Gegensätze nicht, kenne aber George Steiner zu wenig, um etwas über ihn sagen zu können. Zu behaupten, Chomsky liebe die Freiheit nicht, ist eine Unverschämtheit. Ein wichtiger Teil seiner Arbeit beruht auf der These, dass uns die Freiheit unserer Entscheidungen mit Hilfe von Medien lediglich vorgegaukelt wird, wirkliche Freiheit aber immer ein aufgeklärtes Bewusstsein über diese Manipulation beinhaltet muß.

"Verstehen"? Es stimmt, Herr Kinomu, Verstehen setzt Wissen über etwas voraus. Verstehen ermöglicht Verständnis, verhindert manchmal den Ärger. Ich bin allerdings nicht nur verärgert, sondern sehr wütend und absolut nicht bereit, dieses in die Schublade zu legen, wenn mir absichtlich etwas Falsches vorgespielt wurd, ich also getäuscht worden bin, meine Grenzen zutiefst verletzt wurden und ein Spiel gespielt wurde mit der Absicht, mich bis über die Grenzen dessen zu bringen, was ich noch verkraften kann. Mehr kann ich hier nicht sagen, Herr Kinomu. Ich werde versuchen, all dieses im neuen Projekt zu beschreiben. Das ist sicher auch eine Form von Verarbeitung. Ich habe mich auf etwas eingelassen, von dem ich nun weiß, dass weniger erfahrene Menschen zu Dingen hingerissen werden, die sie niemals für möglich gehalten hätten.
kinomu - 6. Sep, 19:41

Falls Sie diese Thematik interessiert, könnten auch andere Bücher George Steiners lohnend sein: Alle Bücher des Kulturkritikers kreisen um die Frage des Zivilisationsbruches: Wie ist es möglich, daß ein gebildeter Mensch abends ins Konzert geht und morgens foltert, dass der Philosoph Martin Heidegger Nazi wird? Steiner befragt die deutsche Aktensprache der Nazis, ihre vermeintliche Sachlichkeit, ihre Ordnung und Rationalität. Er schreibt: "Auschwitz kam nicht aus dem Dschungel, aus der Steppe", es kam aus den Aktenschränken. Und noch erschreckender: "Die Barbarei überfiel den modernen Menschen im Zentrum der Kultur, der Künste."

Ich habe schon öfters das Argument gehört, es wäre gerechtfertigt, dass der Staat Museen, Theater, Künstler ... finanziert, da diese "die Gesellschaft verbessern" würden, und Künstler stellen sich (jedenfalls in Österreich) gerne als besonders sensible Seismographen politischer Bedrohung, als Hüter von Demokratie und der Freiheit dar, dabei die, die ihre Subventionen kürzen wollen, mehr oder weniger explizit als Kryptonazis diffamierend. (Dass das Spiel so leicht durchschaubar ist, stört weder sie noch ihre Freunde. Und die Kritiker, die sind allesamt finstere Neoliberale oder Kryptonazis, pfui.)

Und wie gut funktionieren die Seismographen?
Die russische Avantgarde (Malewitsch...) unterstützte die kommunistische Partei und wurde anfangs von der Politik geschätzt, aber nach einigen Jahren als unverständlich für Arbeiter und Bauern betrachtet und in die Archive verbannt, um dem "Sozialistischen Realismus" Platz zu machen.
Futurismus (Italien): Verherrlichung des Krieges, der Gewalt, des Imperialismus, der Maschinen, der Geschwindigkeit - Unterstützung des Faschismus.
Viele Künstler, etwa Mies van der Rohe und Kandinsky, hatten Sympathie für den Nationalsozialismus. Goebbels wollte den Expressionismus zur Staatskunst erheben, "weil seiner Meinung nach eine revolutionäre Bewegung auch eine revolutionäre Kunst brauche" (das kennen wir von Russland nach der Oktoberrevolution), aber er konnte sich nicht gegen Hitler durchsetzten.
Ezra Pound: Unterstützer der Faschisten
Louis-Ferdinand Céline: leidenschaftlicher Antisemit

In Österreich setzten sich Künstler ein für Otto Mühl, der Fünfjährige zu sexuellen Handlungen gezwungen haben soll (letztes Jahr war ihm in Wien sogar eine Ausstellung im MAK gewidmet), oder (erfolgreich) für die Freilassung des Serienmörders Jack Unterweger, der anschliessend wieder ein paar Prostituierte ermordete. An Peter Handkes Sympathie für den missverstandenen Milosevic hat man sich gewöhnt, aber das bereitet nicht darauf vor, in einem Gespräch mit Schauspielern zu hören, die RAF sei gut gewesen und die Terroristen die eigentlichen Opfer, da sie keine gemeinsame Gefängniszelle bekamen.
"Wenn er daher in Gefahr gerät, sein Bewußtsein erweitern zu müssen, tritt beim Konformisten unweigerlich Selbstmitleid auf. Es bewahrt ihn nämlich davor, sich mit der Angst vor der Wahrheit konfrontieren zu müssen." (A. Gruen: Der Wahnsinn der Normalität.) ;-)


Netzeitung: Gehören Literatur und Macht zusammen, sind Literaten besonders anfällig für Despoten, für Ideologien?

Fritz J. Raddatz: [...] ich denke, dass es kaum einen anderen Beruf gibt, vielleicht noch den malenden Beruf, den darf man dazu nehmen, der so einsam ausgeführt wird. Sie sitzen Stunden, Tage, Wochen, Monate total einsam und monologisch in ihrem Kämmerlein.

[...] Diese geradezu klösterliche Situation des Schreibenden ist wohl eine der Ursachen, dass man dann aus der Klosterzelle herausgreift nach einem Sonnenstrahl, und der kann heißen Mao, oder nach einem Hilfsanker, der kann heißen der liebe Gott – wie bei Claudel.

Das wechselt ja auch, und bei manchen war es, wie wir wissen, erst «Heil Hitler», und dann war es der Kommunismus und so weiter. Also das ist immer eine Krücke, wie ein Hilferuf, an dem man sich aus dieser Einsamkeit festhält, fast ein Blindenstab. Mein Freund Wunderlich hat ein Bild gemacht, damit meinte er die 68er, die das Volk ja auch führen wollten, aber der schöne junge Mann hat einen Blindenstab in der Hand, das heißt: sie sind selber blind oder hilflos und benutzen eine Krücke, und diese Krücke kann heißen Castro oder Stalin oder Pol Pot, weil Macht da ist oder Kraft.

Macht heißt ja auch Kraft, und deswegen hat das Ganze ja auch fast eine religiöse Komponente. Also, wen ich auch immer gefragt habe: Warum hast Du mit den Mächtigen zusammen getanzt, es kam per Saldo heraus: Aber ich habe «geglaubt». Oft kam auch das Wort: Es war meine Religion. Und da kommt man nicht weiter, da endet das Argument, da endet auch die Möglichkeit zu fragen.

Das ist im Moment meine Antwort auf diese Frage, warum sich die Literaten immer wieder mit Despoten verbinden, Sie sehen ja bei Benn, da war es dann der Elite-Gedanke, der ihn angezogen hat – und das kam auch aus der totalen Einsamkeit, zu der er sich verdonnert hatte, immer die Auster, die – wie man weiß – stirbt, wenn man sie öffnet. Also, wenn die Auster «Schriftsteller» sich öffnet, braucht sie oder will sie sehr oft die Krücke Hoffnung haben – oder Utopie oder Illusion, eine Außenmacht.


Netzeitung: Sie haben in Ihrer Zeit als Lektor in Ostberlin Berühmtheiten wie Ernst Busch, Hanns Eisler, Bertolt Brecht, Wieland Herzfelde und Anna Seghers kennen gelernt. Sie stehen mit ihren künstlerischen Werken bis heute für die deutsche kommunistische Bewegung. Sie machten wichtige Musik, schrieben Gedichte und Theaterstücke. Hanns Eisler komponierte die Nationalhymne der DDR und reüssierte sogar in Hollywood. Wie waren diese Leute, die nach dem Krieg aus der Emigration in die DDR zurückgekehrt waren?

Fritz J. Raddatz: Gebrochen. Die Stimmung dieser Leute war gebrochen. Sie haben Recht, es war ein großes Privileg und ein großer Zufall und ein großer Vorteil – dass ich mit 18, 19 Jahren all diese Leute kennen lernen durfte und dass ich so schnell, einen Hanns Eisler oder einen Bertolt Brecht oder eine Anna Seghers, um mal die Big Names zu nennen, kennen lernte. Aber sie waren auch gebrochen und ich muss dies trotz der schönsten Abende sagen, die ich damals mit diesen Leuten verbracht habe. Trotz der Zaubernächte mit Hanns Eisler, an die ich mich heute noch erinnere, weil ich ihn sehr verehrt habe, weil er auch geradezu herausragend gebildet war.

Gebrochen meint, dass sie sich alle gedrückt haben vor dem Problem Stalinismus. Vor dem Problem, dass man ihre eigenen Freunde und Genossen zum Teil in der Sowjetunion umgebracht hatte und dass dies sogar während des Slansky-Prozesses in Prag weiter passierte, als sie also schon wieder in der DDR waren. Mit «gebrochen» meine ich, dass sie eigentlich ein Stück Lüge gelebt haben. Und ich werfe ihnen allen bei großer Verehrung und Zustimmung doch vor, dass sie uns Jüngeren nicht auch nur mit einem Augenzwinkern von Stalins Verbrechen erzählt haben.

Die haben davon einfach nicht geredet, und wenn Ernst Busch vom Spanienkrieg sprach oder Alfred Kantorowicz, um mal zwei Spanienkämpfer zu nennen, dann haben sie uns nicht gesagt, was die Stalinschen Horden, die GPU hieß das damals, mit den Anarchisten gemacht haben und dass sie auch in Spanien schon gemordet haben. Sie haben einen ganzen Komplex an Schuld, den der Kommunismus, der praktizierte Kommunismus, will sagen, der Stalinismus auf sich geladen hatte, ausgespart und damals sogar noch Stalinhymnen oder Stalingedichte geschrieben.

Und das zu einer Zeit, wo sie von all dem, den Ermordungen und Verbrechen, die unter Stalin begangen wurden, natürlich wussten, vor allem die Westemigranten.
Mag sein, dass ein Johannes R. Becher weniger wusste, weil er in Moskau gesessen hatte und natürlich nur ein gefiltertes Informationssystem hatte. Aber in den USA, wo Bertolt Brecht oder in Zürich, wo Hans Mayer gewesen waren, wusste man das, da konnten sie die «New York Times», «Le Monde», oder die «Neue Zürcher Zeitung» lesen oder die Bücher von Ignazio Silone oder von Arthur Koestler und sich damit auseinander setzen. Und das ist ein ganz großes Problem, dem ich in einer Art Politethnographie versucht habe nachzugehen. In großen Interviews also mit Stefan Heym, George Semprun, mit Jorge Armado, mit Louis Aragon, also auch international.

Ich habe da immer wieder nachgefragt, woher kam dieses Loch bei Euch, warum habt Ihr das eingekapselt, wie ein Tuberkel in Eurer eigenen Vita, in Eurer eigenen Moralität, und warum habt Ihr den Jüngeren das verschwiegen? Es wäre ihre Pflicht gewesen, als unsere Maîtres penseurs, unsere Lehrer, sich nun nicht gerade mit der Flüstertüte auf die Berolina-Säule auf dem Alexanderplatz zu stellen – das wäre wohl schlecht gegangen – aber doch, ob in einer Vorlesung oder in einem Essay oder in einem abendlichen Gespräch auf diese Problematik einzugehen. Das hat keiner von ihnen gemacht. Deshalb mein Wort: Gebrochen.

(Hervorhebung: kinomu) Quelle
kinomu - 6. Sep, 19:42

ad Chomsky: ja, ich kenne auch "Manufacturing Consent"... etwas langatmig zwar, aber leicht verständlich, finde ich, mich immer wieder wundernd, was andere darüber behaupten. Zum Beispiel, er spinne Verschwörungstheorien. Nett ist auch der gleichnamige Film, in dem er sich positiv über das Wall Street Journal äussert: vielleicht ist diese Aufgeschlossenheit einer der Gründe, weshalb manche so allergisch auf ihn reagieren? Weil er sich nicht als alle Klischees erfüllener, nützlicher Idiot wie Michael Moore gebrauchen lässt?
kinomu - 7. Sep, 03:54

... der Künstler an sich stilisiert wird als ein an die Macht angepasstes Arschloch.

So würde ich das nicht zusammenfassen, aber ich schweige jetzt lieber. Ich möchte ja nicht Ihre Antwort unterlaufen.
Morgaine - 7. Sep, 14:05

Ach, Herr Kinomu, eine Gruppe per se kategorisieren zu wollen, kann doch eigentlich immer nur misslingen. Ich weiß, ich weiß, Sie könnten jetzt sofort auf den unsäglichen Titel "Generation Blogger" zu sprechen kommen. Und Sie hätten sogar Recht damit. Leicht genervt habe ich halt einfach nur brav genickt, als das Wort "hoher Wiedererkennungswert" kam. Hätte ich lieber mein leises Grummeln deutlicher zum Ausdruck bringen sollen? Hätte ich wohl. Es gelingt mir ja sonst auch, häßliche Tassen auf dem Fußboden in tausend Teile zu zerlegen.
Was wollen Sie hier mit Ihrer Copy&Paste-Fleißarbeit zum Ausdruck bringen? Vielleicht dieses? Der Künstler an sich neigt zwar dazu, sich als wegweisende Avantgarde zu sehen, klebt aber leider entweder viel zu sehr an seinen eigenen ideologischen Vorstellungen einer besseren Welt oder aber am süßen Tropf der Macht, um diesen Anspruch zu verwirklichen.
Muß ich jetzt wirklich die vielen Gegenbeispiele bringen, in denen geradezu prophetische Gaben die ihrer Zeit weit voraus Blickenden als Narren der Gegenwart stigmatisierten? Sollte ich versuchen, verschiedene Motive für das Schaffen von Kunst anzuführen, die von reinem Kommerz, Kleben an der Macht, über Katharsis bis hin zum Weltverbesserer reichen? Das Wort "Weltverbesserer" ist für mich übrigens im Gegensatz zu Frau Vollmer kein Schimpfwort, die in einer Dokumentation über Oskar Lafontaine sagte, sie bedauere ihn sehr, er habe nun all' die Querulanten und Weltverbesserer am Hals. Da hatte ich dann auch einen Hals. Auf Frau Vollmer und Konsorten.
Sie mögen über die Motive von Künstlern spekulieren. Ich kann nur über meine eigenen Motive spekulieren, habe dazu aber nicht so besonders viel Lust. Ich möchte anscheinend Polit-Kunst machen. ;-) Die Frage nach dem Wieso/Weshalb/Warum überlasse ich gerne Ernie aus der Sesamstraße und den sich dazu berufen fühlenden Experten.
Morgaine - 7. Sep, 18:16

Nachtrag: Wie Sie nicht wissen können, habe ich habe gerade Ihre o.g. Konformisten-Stelle auf S. 116 bei Arnold Gruen erreicht.
kinomu - 8. Sep, 15:36

Frau Morgaine, Sie haben richtig erkannt, dass ich das "Misslingen" hier einkalkuliert hatte. (Die Anführungszeichen, weil Sie schrieben, Sie hätten den Kommentar wirklich lustig gefunden und sich herausgefordert gefühlt - was ja nicht ganz unbeabsichtigt war. Wirklich misslungen wäre es, hätte ich Sie gelangweilt.)
Sie hätten den, der "Generation Blogger" vorschlug auch nicht gleich "in tausend Teile zerlegen" müssen, diese Massnahme hielte ich trotz eines so schlimmen Titels für etwas überzogen.

Ich würde eher von ideologischer Verblendung schreiben, die politische Verbrechen in kommunistischen Ländern ignorieren/beschönigen/leugnen liess/lässt. Oder Scham. Oder Primat der Phantasie. Ich bin mir nicht sicher.

Die Motive für künstlerische Tätigkeit sind nicht uninteressant, aber hier interessiert mich nur, warum "Denker, Künstler, Schriftsteller ... Verbündete der Finsternis" (George Steiner) wurden und warum dieser Gruppe andererseits viele Unterzeichner der Charta 77 zuzuordnen sind, um nur ein positives Beispiel zu nennen. Warum (vermutlich) ähnliche Menschen in dem einen Land ihr Leben für die Forderung nach mehr Freiheit riskieren und ihre Kollegen in einem anderen Land mit den Unterdrückern sympathisieren. Dieser Widerspruch interessiert mich.
(In Die Unwissenheit beklagt der Emigrant aus der Tschechoslowakei, er wäre von der linken Pariser Szene bis zur Wende als Verräter am Kommunismus betrachtet und deshalb abgelehnt worden...)

Vielleicht meinte Frau Vollmer "naive Weltverbesserer"? Diese Menschen, die sich nicht auskennen, aber dafür umso mehr fordern? Die keine Ahnung haben, welche Folgen die Umsetzung ihrer Forderungen hätte? Die gar nicht bemerken, dass sich viele ihrer Forderungen widersprechen? Die nicht abgeneigt wären, Staatskommunismus einzuführen, weltweit? "Naive Weltverbesserer" wäre ein Schimpfwort, ein ganz übles.

(In meiner Ausgabe ist das Zitat schon auf Seite 108 zu finden. 10. Aufl., Okt. 2000.)
Morgaine - 9. Sep, 01:21

Herr Kinomu, ich pflege Menschen nicht in 1000 Teile zu zerlegen. Es reicht, wenn es mir gelingt, die vielen Facetten zum Leuchten zu bringen, die sich manchmal hinter Glattem, allzu Glattem verbergen. Dabei kommt so viel Schönes hervor. Erste Eindrücke, die dann in vielen kleinen Facetten schimmern. Das auf den ersten Blick Offene, nicht Glatte jedoch fasziniert mich am meisten. Manches Mal allerdings bin ich zutiefst erschrocken, am meisten wahrscheinlich über mich, weil das erste Bild eines Menschen einer Eigenes und Fremdes abwehrenden Seele entspricht, die sich in den zutage tretenden Facetten immer und immer wiederspiegelt, und ich dennoch eine Zeit lang nicht aufhören möchte, nach Erklärungen, nach dem Anderen dahinter zu suchen. Nun, vielleicht zerlege ich ja doch in 1000 Teile? Im oben genannten Fall war ich sehr müde. Und ein wenig zermürbt

Vielleicht bin ich ja auch heute nacht schon ein wenig müde und sehe die Dinge nicht so deutlich. Aber ich lese in Ihren Sätzen eine gewisse Angst vor der Freiheit der Vielen. Sie argumentierten mit einer gnostischen Licht-Finsternis-Metapher. Sind nur diejenigen die Kräfte der Finsternis, die sich der einen Ideologie, dem Kommunismus in seinen ganzen pervertierten Formen verschrieben? Wissen Sie, ich habe teilweise mit Erschrecken die Memoiren von Madeleine Albright und ihre Begegnungen mit den Mitgliedern der Charta 77 gelesen. Freiheit und Demokratisierung bedeutete für Madame Secretary die Wiederherstellung der Verhältnisse, in die sie hineingeboren war. Wem aber der Boden derart fruchtbar am Beginn seines Lebens bereitet war, der hat vielleicht einen anderen Begriff von Freiheit als die, die nicht von Beginn an die Chance auf ein Stück Land hatten, und nun dafür kämpfen, dass "allen" Menschen so viel Land zur Verfügung steht, wie sie zum Leben brauchen. Vaclav Havel hingegen ist beispielsweise jemand, der in der Lage ist, die Freiheit der Vielen zu empfinden.

Naive Weltverbesserer? Was für ein Wort. Ist jemand naiv, der darauf hinarbeitet, dass der Boden für alle reicht und sich nicht nur wenige auf Kosten anderer bereichern? Sie sprechen vom Staatskommunismus anscheinend als der schlimmsten politischen Herrschaftsform. Für mich ist es jede Form von Totalitarismus, die Herrschaft und Reichtum weniger auf Kosten vieler ermöglicht. Freiheit ist nicht die Freiheit von Elite, die Bedingungen zu ermöglichen, unter denen sie ihre elitären Positionen halten können. Es ist Unfreiheit, wenn in Südamerika wieder Zwangsarbeit und Skaventum möglich ist, wenn Arbeiter auf der Landstraße unter fadenscheiningen Bedingungen auf Lastwagen geladen und dann hinter Stacheldraht ohne Fluchtmöglichkeit gehalten werden. Es ist Unfreiheit, wenn in Deutschland einer wachsenden Zahl von Millionären eine immer breitere Masse von Armen gegenübersteht.
kinomu - 10. Sep, 14:42

Dafür, dass ich den Kommunismus erwähnt habe, gibt es zwei Gründe. Zum einen die Nähe: geographische Nähe, der Eiserne Vorhang war nur 50 Kilometer von Wien entfernt, zeitliche Nähe, Erinnerungen an Gespräche mit Menschen aus der Tschechoslowakei, der DDR... zum anderen die Tatsache, dass viele Künstler und Intellektuelle im Westen den Kommunismus positiv sehen.
Zu Sklaverei in Südamerika habe ich keinen persönlichen Bezug und ich kenne auch niemanden, habe von keinem Künstler gehört, der meint, dass das "im Grunde gut" sei. Oder der sich positiv über die Militärdiktaturen geäussert hätte, denen zehntausende Menschen zum Opfer fielen, im Gegenteil.

Umverteilung von Boden kann sinnvoll sein. Wenn grosse Flächen, die zuvor nur als Weide für die Steaks der Reichen verwendet wurden aufgeteilt und mit Kartoffeln, Getreide etc. intensiv genutzt werden, sich also der Ertrag vervielfacht und bei denen bleibt, die am wenigsten haben, ist das wunderbar! Es kann aber auch gründlich schiefgehen, etwa in Zimbabwe: die weissen Farmer, die auch Schulen und Krankenstationen finanzierten, wurden vertrieben oder ermordet, die Produktion ging stark zurück, Menschen (ver)hungerten. (Jetzt soll auch noch jeglicher private Landbesitz verboten werden.) Aber ich bezweifle, dass Frau Vollmer meinte, Oskar Lafontaine hätte verhinderte Bauern am Hals. ;-)

Dass ich von Staatskommunismus nicht begeistert wäre wissen Sie, die Probleme dabei halte ich für systemimmanent. Mit einem Gut-Böse-Dualismus der politischen Systeme kann ich aber wenig anfangen, nicht zuletzt, weil ich kein perfektes System kenne. In unseren "plebiszitären Führerdemokratien" (Max Weber) alle vier Jahre nach einer geistlosen Werbekampagne und TV-Show eine der Parteien anzukreuzen und dann zuzusehen wie Dummheit und Korruption regieren ist nicht befriedigend, aber besser als eine Diktatur. Direkte Demokratie und mehr Transparenz würden die Korruption reduzieren und wären sicher besser. Anarchie ist zwar ein faszinierende Idee, die in den von Ihnen vor einigen Monaten verlinkten Dörfern/Städten ausprobiert wird, sehr sympathisch, aber ich bin sicher, dass das nicht im grösseren Stil funktionieren kann, jedenfalls nicht mit den Annehmlichkeiten, die nur durch Geld und globale Arbeitsteilung möglich sind. (Aber die Amish brauchen das ja auch nicht.)

Demokratie ist kein Garant für besseres Verhalten. Es sollen durchaus Demokratien sein, die Angriffskriege führen, ein globales Netzwerk von Foltergefängnissen unterhalten oder, um auf Südamerika zurückzukommen, über einem anderen Land Gift auf die Bewohner und ihre Kokapflanzen versprühen, um den Preis hoch zu halten. Dass auch die Bevölkerung des eigenen Landes durch die Prohibition massiv geschädigt wird - viele Morde sind auf Drogenhandel zurückzuführen, Gesundheitsprobleme/Todesfälle wegen der Streckung mit schädlichen Substanzen, Beschaffungskriminalität, eine halbe Milllion Gefangene, Kriminelle können sich bereichern, die Bevölkerung hat enorme Kosten zu tragen - macht das noch perverser.
Morgaine - 11. Sep, 01:36

Ich freue mich immer über Ihre Kommentare. Ehrlich ... Deswegen beantworte ich diesen denn auch morgen gerne bei einer schönen Tasse Kaffee.
Morgaine - 11. Sep, 17:28

"Dass viele Künstler den Kommunismus positiv sehen", ist vielleicht auch Ausdruck einer Hilflosigkeit ob der Tatsache nicht gerecht funktionierender Verteilungsmodelle und insbesondere der Sehnsucht von nachdenkenden Frauen, endlich ein lebenswertes System zu finden, in dem patriarchale Ordnungsvorstellungen ihnen nicht mehr die inferioren Plätze zuweisen. Hier sehe ich die wesentlichen Aufgaben, die es zu lösen gilt. Soziale Gerechtigkeit und Freiheit muß von der Wurzel an gelebt werden, es ist die Frage der Gleichheit von Menschen, von Mann und Frau. Aus diesem Verhältnis lassen sich dann andere Beziehungen wie beispielsweise solche zwischen verschiedenen Nationen ableiten. Jedes Modell, dass diese Kernproblematik nicht löst und im Innersten auf Ungleichheit, Unterordnung und damit auf Ausbeutung ausgerichtet ist, wird mittelfristig scheitern und kann nur mit Hilfe von diversen Gewalt-Formen aufrechterhalten werden. Sie könnten jetzt einwenden, dass es keinen Beweis für mehr Gerechtigkeit in matriarchalen Modellen gibt und in der Tat ist das mit teilweise zynischer Offenheit favorisierte mexikanische Beispiel der Frauen von Juchitan leider auch kein Ausbund an Verteilungsgerechtigkeit. Einweihungsriten dort sind den Mädchen vorbehalten, Männer verdienen wesentlich schlechter als die Handel treibenden Frauen und vegetieren streckenweise unter Alkohol in den heimischen Hütten stumpf vor sich hin. Nun ja, als gelegentliche Straf-Expedition für Möchtegern-Machos vielleicht geeignet, als dauerhaftes Modell einer gleichberechtigten Gemeinschaft wohl eher weniger.

Es nützen keine Versuche der Re-Demokratisierung von Systemen wie beispielsweise der Versuch, statt repräsentativer Demokratie mehr Direkte Demokratie zu wagen, wenn sich die oben genannten Herrschaftsverhältnisse auch hier lediglich spiegeln. Subcommandante Marcos, von dem Sie oben sprachen, sieht dieses Problem auch in Chiapas, Lösungen sind dort ebenfalls nur schwer zu finden.

Demokratisierung heißt also, zuerst einmal das Verhältnis der Geschlechter zu demokratisieren und die Aufgaben, die bis jetzt Frauen bis in der Mehrheit unentgeltlich und ihrer angeblichen Natur gemäß kostenlos erledigen, als notwendig für das Fortbestehen jeder Gesellschaft anzuerkennen und ihnen einen entsprechenden Wert einzuräumen. Daraus ergibt sich dann von selbst eine gerechte Umfairteilung von Aufgaben, die sich dann hoffentlich von der Mikro-Ebene auf die Makro-Ebene fortsetzen wird.
kinomu - 12. Sep, 17:02

ad Mikro-Makro-Ebene: dass für Menschen, für die Gleichberechtigung ein Fremdwort ist, die nur die Möglichkeit sehen, unterdrückt zu werden oder Unterdrücker zu sein, Opfer zu sein oder Täter - Motto "lieber Täter sein, denn die leben länger" - autoritäre Systeme die natürlichste Herrschaftsform sind und dass Menschen, die gleichberechtigte Beziehungen präferieren anderen Systemen den Vorzug geben, halte ich für sehr wahrscheinlich. Dass sich aber aus einer zwischenmenschlichen Beziehung das politische System oder die Aussenpolitik ableiten liesse, kann ich mir schwer vorstellen. (Das war früher so, als durch geschickte Heiratspolitik das Einflussgebiet vergrössert werden konnte - hat aber auch nicht immer funktioniert.)

ad "nicht gerecht funktionierende Verteilungsmodelle": es gibt unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit. Ist es gerecht, wenn jeder gleich viel zu essen bekommt? Oder ist es gerechter, wenn schwer Arbeitende und Schwangere mehr bekommen? Und was ist mit Fettsüchtigen?...

Nachträglich zwei Links zur Prohibition:
Gary S. Becker (haben Sie schon mal von dem gehört?) und aus dem Economist: Ending the war on drugs
Morgaine - 12. Sep, 17:44

Schade, Herr Kinomu, dass Sie den Versuch nicht lassen konnten, mich in die Ecke zu drängen.
http://morgaine.twoday.net/stories/896880/

Ich könnte jetzt sehr plakativ fragen, wie tolerant man den Intoleranten gegenüber sein muß und mich in Endlos-Schleifen verwirren. Ich lasse es lieber.

Stattdessen schreibe ich nur, dass ich froh bin, endlich begriffen zu haben, dass man denen, denen man die Hand gereicht hatte, und die als Antwort versuchten, einem die Hand abzuschneiden und die Kugel ins Herz zu schiessen, nur mit der gleichen Kugel im Kopf drohen kann, sollte sich dieses Verhalten wiederholen.
http://morgaine.twoday.net/stories/914050

Das politische System ist kein abgehobenes Abstraktes, sondern eine Ordnungsvorstellung zur Regelung von Beziehungen, zur Regelung des Zusammenlebens. In der Praxis spiegelt sich das Private immer in jeder politischen Kommunikation.

Unterschiedliche Bedürfnisse und Bedarf? Ja, stimmt. Ich habe gehört, dass die Zufriedenheit eines Menschen auch das Essverhalten steuert. Ergo: Je zufriedener, desto eher kann jeder selber seinen Bedarf regulieren? Ich habe übrigens während meiner Schwangerschaft kaum zugenommen. Die Taxifahrerin auf dem Weg ins Krankenhaus ist fast ohnmächtig geworden, als sie unterwegs den wahren Grund der Fahrt erfuhr. Hatte vielleicht Angst vor Blutflecken im Auto ... ;-)

Warum schicken Sie mir Links zum Thema Prohibition, Herr Kinomu?
kinomu - 13. Sep, 22:33

In welche Ecke habe ich Sie Ihrer Meinung nach zu drängen versucht?
Und was hat es mit Verstümmelung und Schiesserei auf sich?
Vielleicht wäre das die erste Geburt gewesen, die die Taxifahrerin bewusst miterlebt hätte - ohne Hebamme und ohne zu wissen, was zu tun wäre... na, immerhin konnte sie sich mit Ihnen unterhalten. Ich erinnere mich mit Schaudern an die Fahrt mit einer Schwangeren, die kein Wort Deutsch sprach (und ich kein Wort Albanisch), ihr Mann wollte (oder konnte) nicht mitfahren, sie erwartete Zwillinge, hatte schon grosse Schmerzen und wir waren noch soo viele Kilometer vom Krankenhaus entfernt... aber wir kamen gerade noch rechtzeitig an. (Und ich wurde auch nicht ohnmächtig.)
Morgaine - 14. Sep, 13:22

Herr Kinomu, ich halte Sie für viel intelligenter ... Und andere verstehen es ja auch. Was nicht immer schön ist, selbst wenn das Wort "wunderbare Autorin und Avantgarde" fällt, denn mit dem Verstehen und dem Verständnis der anderen kommt eben auch ihr Zweifel, ob dieses Land hier wirklich solche Dinge (schon?) versteht. Aber möchte ich wirklich gehen?

Da ist zum Beispiel sie. Ich nenne sie hier Lilith. Sie weiß, wovon sie redet. Sie sagt mir, dass New York es verstehen wird. Und obwohl es eine so schöne Stadt ist, in der ich mich auf Anhieb mehr als zu Hause gefühlt habe, habe ich doch immer noch den Wunsch, dass ich trotz all' dieser Dinge, die man mir hier angetan hat, bleiben kann. Hier bleiben und arbeiten kann.

Nein, Herr Kinomu, ich erwarte von Ihnen jetzt keine Antwort mehr auf diesen Beitrag.

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Astrid Haarland M.A. Politologin - Soziale Kunst- und Ausstellungsmacherin - Commander/ISLA - a.haarland(at)googlemail.com - Choose safe communication ... ;-)

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