Samstag, 3. September 2005

Selbsthaß ...

als Ursprung der menschlichen Destruktivität

Klaus Barbie, der gefürchtete Gestapo-Chef von Lyon, machte einmal ein bezeichendes Eingeständnis. Er wurde zur Folterung und Ermordung des französischen Widerstandskämpfers Jean Moulin befragt und sagte:
"Als ich Jean Moulin verhörte, hatte ich das Gefühl, daß er ich selbst war."
Mit anderen Worten: Je mehr er in Jean Moulin sein eigenes, zurückgewiesenes Selbst erkannte, um so mehr mußte er ihn - also sich - hassen und töten.
Dieses seltene Eingeständnis macht offensichtlich, daß Haß aus Selbsthaß entsteht. Der Mörder erkennt in seinem Opfer sein eigenes Selbst. Es ist aber ein Selbst, daß er zu fürchten begonnen hat, als es nicht in das elterliche Selbstwertgefühl paßte, so daß Mutter oder Vater das Kind zwangen, sich ihrem Willen zu unterwerfen. Ein solches Kind wird dafür später Rache nehmen wollen, es wird als erwachsener Mensch danach trachten, dafür geliebt zu werden, daß er anderen Leid zufügt, und gleichzeitig wird er ein solches Handeln entschieden leugnen.

Ist so die Entwicklung eines Mannes verlaufen, wird in der bedrängenden Lage, in der sich sein Opfer befindet, nicht nur das eigene, lang zurückliegende Leiden reaktiviert, es wird das, was von seiner eigenen Menschlichkeit übriggeblieben ist, nun wieder erwachen. Deshalb reagieren solche Männer auf das, was die Reste ihres eigenen Selbst hervorholt, ausnahmslos mit gesteigerter Verachtung und mit Haß, um so die Stimm des Opfers, das sie so sehr in sich selbst hassen, zum Schweigen zu bringen. Die Beziehung zur eigenen Menschlichkeit ist zerstört, weil diese Männer in ihrer eigenen, lang zurückliegenden Geschichte, die eng mit dem Gefühl von Schwäche verbunden ist, die ausbeutende Liebe ihrer Eltern auf Befehl in "wahre" Liebe umdeuten mußten.

Ich habe in erster Linie von Männern gesprochen, obwohl natürlich ebenso Frauen den Zugang zu ihren Gefühlen verlieren können - die schrecklichen Berichte über weibliche KZ-Aufseherinnen haben uns darüber belehrt. Denn in unserer Kultur, die beherrscht ist von der Ideologie der männlichen Überlegenheit, gründet die weibliche Selbstachtung nur zu oft auf den männlichen Kriterien und verleugnet die eigenen weiblichen Eigenschaften.

Diese unglückliche Entwicklung von Frauen ist mitverantwortlich sowohl für den unbewußten Groll einer Mutter gegen den eigenen Sohn, als auch dessen Überschätzung. Diese Überschätzung verstärkt in der Mutter das Bedürfnis, den Sohn zu beherrschen. Forschungen von James R. Cameron und mir haben die Komplexität dieser Vorgänge aufzudecken versucht. Wie sehr sie im Verborgenen wirken, zeigte Cameron, als er feststellte, daß es nach der Geburt eines Sohnes bis zu drei Jahre dauern kann, ehe die ablehnende Haltung der Mutter deutlich wird. Ähnliches konnte ich in einer Arbeit aufzeigen: Der Schlüssel für schizoides und überintellektuelles Verhalten bei Männern liegt in der kulturellen Überbewertung des männlichen Kindes und in der daraus resultiereden größeren Ambivalenz der Mutter ihrem Sohn gegenüber. Sie lehnt ihn ab, weil seine Überschätzung ihre eigene weibliche Bedeutung leugnet, gleichzeitig ist der Sohn für sie die Quelle ihrer Selbstachtung in einer vom männlichen Mythos beherrschten Welt.

Aus:
Arno Gruen, Der Wahnsinn der Normalität. Realismus als Krankheit: eine Theorie der menschlichen Destruktivität, Deutscher Taschenbuchverlag, Oktober 2004

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